Mythos oder Fakt?
Gisela Ermel
In: Magazin2000plus, Nr. 182, Marktoberdorf 2003
Von der deutschen Presse eher weniger beachtet, wurde am 31. Juli 2002 der Indianer Juan Diego von Papst Johannes Paul II. in Mexiko heilig gesprochen. Damit wurde erstmals in der Kirchengeschichte einem Indianer diese Würde zuteil. In einem Hirtenbrief an ihre Gemeinden priesen die mexikanischen Bischöfe diesen Akt als "Anerkennung der Indios als Völker" - fast 500 Jahre nach der Bulle von Papst Paul II. vom 2. Juli 1537, in der er die Eingeborenen Amerikas als "wirkliche Menschen, imstande, den katholischen Glauben und die Sakramente zu empfangen" anerkannte.
Wer war Juan Diego?
Juan Diego wurde 1474 im grossen mexikanischen Tal von Anahuac geboren, sehr wahrscheinlich im Ort Cuauhtitlán. In dieser Gegend, die 1467 vom Azteken-Häuptling Axayacati erobert wurde, hatte sich das Nahua-Volk niedergelassen. Bei seiner Geburt wurde der Knabe Cuauhtlatoatzin genannt (= "Der, der wie ein Adler spricht"), und später heiratete der Indio eine Eingeborene. Etwa im Jahr 1525 bekehrte er sich zum Christentum (katholische Missionare weilten eit 1523 in Neuspanien) und empfing zusammen mit seiner Frau die Taufe. Sie erhielten die Namen Juan Diego und Maria Lucia. Zum Religionsunterricht pflegte Juan Diego eine Strecke von ca. 20 km zurückzulegen, die ihn u.a. über den Hügel Tepeyac Richtung Tenochtitlan (das heutige Mexico City) führte.
Juan Diego auf dem Weg über den Tepeyac
Auf einem dieser Wege erschien ihm im Dezember 1531 eine lichtstrahlende Gestalt, die sich ihm gegenüber als die Gottesmutter Maria ausgab und ihn mit einer Botschaft zum Bischof schickte: man möge ihr hier ein Heiligtum errichten. Juan Diego, der in die Hauptstadt zu Bischof Zumarraga ging, fand zunächst kein Gehör. Als er sich enttäuscht auf den Heimweg machte, erschien ihm abermals auf dem Tepeyac die lichtstrahlende Frau. Er möge noch einmal zum Bischof gehen, so verlangte sie.
Er tat es am nächsten Tag; man wolle ihm glauben, wenn er ein Zeichen bringe, das beweise, dass diese Erscheinung wirklich die Jungfrau Maria sei. Auf dem Heimweg erschien ihm abermals die lichtstrahlende Gestalt und erklärte sich damit einverstanden, ein Zeichen zu geben. Sie bestellte Juan Diego für den nächsten Tag zur Erscheinungsstelle, doch der Indio traf erst wieder am übernächsten Tag die Erscheinung, da er einen Tag lang seinen kranken Onkel gepflegt hatte. Die Erscheinung schickte ihn auf den Gipfel des Hügels, wo er die dort vorhandenen Blumen pflücken solle, die dann als ihr Zeichen zum Bischof zu bringen seien.
Juan Diego gehorchte, öffnete vor dem Bischof und weiteren anwesenden Personen seinen Umhang (die Tilma), in dem er die Blumen trug - und auf dem Stoff befand sich zur Überraschung aller das bis heute erhaltene, wunderbare, "nicht von Menschenhand gemachte" Marienbild.
Bischof Juan de Zumarraga
Das Bild der Jungfrau von Guadalupe auf dem Umhang des Juan Diego
Laut katholischer Geschichtsschreibung erhielt die Bekehrung der Ureinwohner Neuspaniens, die nach dem Sieg der spanischen Eroberer über die Azteken im Jahr 1521 nur schleppend angelaufen war, mit diesem Ereignis den entscheidenden Schub. Es war der Beginn einer Massentaufe von Eingeborenen, wie sie die Welt noch nie erlebt hatte. Bereits zehn Jahre später hatten sich neun Millionen Indianer christlich taufen lassen. Das "timing" hätte nicht besser sein können, Juan Diego und sein "Wunderbild" brachten eine wahre Lawine ins rollen.
Wirbel um Juan Diego
Bereits am 6. Mai 1990 war Juan Diego vom Papst im Verlauf dessen zweiter Mexikoreise in der Basilika von Guadalupe (dem Erscheinungsort und dem Aufbewahrungsort für das Wunderbild) selig gesprochen worden. Es hätte alles so einfach sein können. Bereits lange vor der geplanten Heiligsprechung hatte das Feiern und auch das Vermarkten des Events begonnen. Täglich gab es in den Tageszeitungen und im TV Berichte über Juan Diego, der Verkauf von Juan Diego-T-Shirts, CDs usw. boomte.
"Glorifikation" des Juan Diego, Andachtsbildchen zur Seligsprechung in 1990
Rucksak-Touren nach Cuauhtitlán, der Geburtsstätte des Juan Diego, wurden durchgeführt und der Besuch der Basilika von Guadalupe mit dem Wunderbild nahm rapide zu. Doch dann kam es zu einer unerwarteten Medienschlacht, die sich um die Existenz oder Nichtexistenz des Juan Diego drehte.
Stimmen wurden laut - insbesondere aus protestantischen Kreisen -, die behaupteten, die Lebensgeschichte von Juan Diego sei von spanischen Priestern zur Zeit der Kolonialherrschaft zum Zweck religiöser Bekehrung erfunden worden: Juan Diego habe nie gelebt! Als Anführer dieser Anti-Heiligsprechungs-Kampagne machte sich Abt Guillermo Schulenburg stark, der ehemalige Betreuer der Basilika von Guadalupe. Er hatte bereits 1996 von seinem Amt zurücktreten müssen, nachdem er behauptet hatte, Juan Diego sei nur ein Symbol, aber keine reale historische Person.
Abt Guillermo Schulenburg, der "Bad Boy" der Heiligsprechung Juan Diegos
Den Stein ins Rollen gebracht hatte jedoch die öffentliche Präsentation des Buches "La Busqueda de Juan Diego" (Die Suche nach Juan Diego) von Prof. Manuel Olimon Nolasco. In diesem Buch machte Nolasco bis dahin unveröffentlichte Briefe publik, die er und andere Diego-Skeptiker in den letzten zwanzig Jahren an den Vatikan geschrieben hatten. In den Chroniken der damaligen Zeit finde sich über die Erscheinungen kein Wort, hiess es da. Auch sei in den Aufzeichnungen des wichtigsten Zeitzeugen, des Bischofs Zumarraga, kein Hinweis auf das bestimmt nicht alltägliche Wunder zu finden. Es wurde auch noch darüber geklagt, dass der Vatikan bei seinen Ermittlungen für die Heiligsprechung alles ignoriere, was nicht positiv sei; die Ermittler seien voreingenommen betreffs der Historizität des Juan Diego und konsultierten nur Historiker mit gleicher Meinung. Es wurde in diesen Briefen gar gedroht, dass der Misserfolg des Vatikans in Sachen Beweisführung der Existenz des Juan Diego die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der katholischen Kirche in Zweifel bringen werde. Nolasco bei der Präsentation seines Buches forsch: "Es ist nur eine Geschichte wie die von Aschenputtel."
Manuel Olimon Nolasco, einer der Juan Diego-Skeptiker
Das führte zu einem Aufruhr beim katholischen Klerus und zur Empörung beim mexikanischen Volk, vor allem, da nun Protestanten anfingen, bei diesem Streit um Sein oder Schein der Jungfrau von Guadalupe ins selbe Horn zu stossen wie Schulenburg und seine Anti-Heiligsprechungs-Mitstreiter. Ein junger protestantischer Pastor beispielsweise, Pedro Lopez, erklärte: "Sie haben Juan Diego erfunden!" Früher, so meinte er, hätten die Indianer niemanden mit dem Namen Juan Diego gekannt - die Personen hätten Namen der Azteken oder Maya getragen. Hier hätte dem Pastor nun jeder mexikanische Schulbube entgegnen können, dass Juan Diego seinen spanischen Namen erst bei der christlichen Taufe im Alter vor über 50 Jahren erhalten hatte.
In der Washington Post hiess es, der Versuch einer solchen "Entmythologisierung" könne nur damit verglichen werden, als wolle jemand den US-Bürgern erklären, auch die Verfasser der Unabhängigkeitserklärung hätten nie existiert.
Im Independent stand es noch knapper: "Das ist, als wolle man an der Existenz Abraham Lincolns zweifeln!"
Es regnete Schlagzeilen wie diese: "Wirbel um Mexikos Jungfrau von Guadalupe", "Fehlt dem Wunder die historische Basis?", "Myth Versus Miracle" usw. Im Million Magazine witzelte gar ein verärgerter Schreiber, ihm sei bei einem Spaziergang Juan Diego erschienen, der zum ihm sagte: "Schulenburg existiert nicht!" Noch dazu listete das Magazin in der wöchentlichen Rubrik "In and Out" Schulenburg unter den "Outs" auf.
In einem Zelt neben der Basilika von Guadalupe machten sich Pro-Juan-Diego-Prediger für die Heiligsprechung stark. "Die Kritiker sind alle Lügner!", so ein Besucher einer solchen Zeltpredigt zu einem Reporter der Washington Post.
Für Monsignore José Luis Guerrero, den führenden Juan Diego-Spezialisten der Basilika von Guadalupe, sind die Gegner der Heiligsprechung gar anti-indianische Rassisten: "Sie können nicht verstehen, wie ein Indianer, ein Nichts, von Gott auserwählt worden sein soll." Für ihn ist allein die Tatsache, dass sich so kurz nach den Ereignissen von 1531 Millionen und Abermillionen von Indianern christlich taufen liessen, ein Beweis dafür, dass damals etwas ganz Aussergewöhnliches passiert sein muss.
Die Heiligsprechung
Trotz all dieser Streitereien und Medienschlagzeilen ging die Heiligsprechung wie geplant vonstatten. Für Papst Johannes Paul II., der sein Pontifikat bereits zu Füssen der Jungfrau von Guadalupe begonnen hatte, war Mexiko nach Kanada und Guatemala die letzte Station seiner 97. Auslandsreise. Diese Drei-Länder-Reise war die bisher längste seines Pontifikats und auch seine letzte Mexikoreise.
Am Dienstag, dem 30. Juli, wurde der 82-jährige von Präsident Vicente Fox und rund 2600 erlesenen Gästen am Flughafen von Mexiko City empfangen. Die Menge begrüsste ihn begeistert, als er mit einer Hebebühne aus dem Flugzeug herabgelassen wurde. Er werde in Mexiko "mit offenen Armen und freudvollem Herzen" empfangen, so Präsident Fox, der sich gleich darauf einen peinlichen Fauxpas leistete: Fox küsste den Ring des Papstes. Diese bisher für Mexiko einmalige Geste sorgte für deftige Reporter-Kommentare und Ärger bei der Regierungsopposition. Der Präsident wolle lediglich von der Popularität des Papstes profitieren, so warf ihm sein politischer Kontrahent Emilio Serrano vor, und auch die Zeitungen kritisierten die "Geste" als Missachtung der Trennung von Kirche und Staat.
Ungeachtet dessen riefen auf dem Weg in die Stadt begeisterte Menschenmassen: "Die ganze Welt liebt dich!" und "Es lebe der Papst!" Zehntausende empfingen die hohe Persönlichkeit mit Gesängen und Jubelrufen in den Strassen von Mexiko City. Um die Gesundheit des Papstes nicht übermässig zu strapazieren, war "die grösste Messe aller Zeiten" zuguterletzt doch umorganisiert worden. Das Hauptereignis, die Heiligsprechung Juan Diegos, sollte nun nicht auf dem freien Gelände zwischen den Satelliten-Städten Ecatepec de Lorelos und Texcoco de Mora stattfinden, sondern auf dem kleinen Platz vor der Basilika von Guadalupe. Statt Platz für fünf Millionen Menschen gab es nur den "kleinen Rahmen" von rund 100.000 Menschen.
Von Hubschraubern überwacht legte am Mittwoch, dem 31. Juli, der Papst die 20 km lange Strecke von seinem Quartier bis zur Basilika im Papamobil zurück. Gläubige aus den entlegensten Provinzen und Ländern waren nach dort gepilgert, um bei der Zeremonie dabei zu sein. Über 100.000 Menschen drängten sich vor der Basilika, als der Papst Juan Diego heiligsprach. Dreitausend Ureinwohner verschiedener Stämme nahmen als Ehrengäste an der feierlichen Zeremonie teil. Eine jämmerliche Geste angesichts dessen, was man ihren Vorfahren vor gut 500 Jahren angetan hatte!
Auf dem Hin- wie auch auf dem Rückweg befanden sich nach Einschätzung der Polizei rund 4,2 Millionen Menschen auf den Strassen, um dem Oberhaupt der katholischen Kirche zuzujubeln. Die festliche Stimmung wurde nur einmal getrübt, als auf dem Rückweg ein 14-jähriger Junge mehrere Schüsse aus einem Luftgewehr auf den Konvoi des Papstes abgab. Er konnte jedoch gleich festgenommen werden.
Kurz nach der Heiligsprechung hörten die Schlagzeilen um den "aztekischen Ureinwohner", den "indianischen Seher", den "Indio, dem die Jungfrau Maria erschien" auf - nichts ist so kurzlebig wie ein aktuelles Ereignis.
Über das berühmte Bild fiel bei all dem kaum ein Wort. Man erwähnte allenfalls die Jungfrau von Guadalupe als "von allen geliebte Nationalheilige", wies in Nebensätzen darauf hin, dass ihr "Bildnis" heute Kirchen und Kathedralen, Wohnstuben und Werkstätten, die Armaturenbretter von Taxen und die Windschutzscheiben von Bussen ziere, informierte kurz darüber, dass die Jungfrau von Guadalupe unzähligen Apotheken, Kramläden, Tequilla-Bars und einer Versicherungsgesellschaft ihren Namen gegeben habe - doch über die wissenschaftliche Unerklärlichkeit des Bildes und seiner Merkmale fiel so gut wie kein Wort.
Lediglich die Welt sprach vom "Umhang ... auf dem die Jungfrau bei ihrer letzten Erscheinung ... ihr Abbild zurückgelassen" habe, und dass "in ihren Pupillen in digitaler Vergrösserung vor kurzem zwölf Personen als Spiegelungen entdeckt" wurden, unter denen José Aste Tonsman von der Cornell Universität in einem "Indio mit Bart und Schnurrbart" den fotografischen Abdruck eben jenes Mannes erkennen wolle, "der nie existiert haben soll".
Die Heiligsprechung von Juan Diego war in aller Munde ...
... doch über unerklärliche Merkmale des Bildes sprach fast niemand
Da wurde in der Presse vage von einem "Bild auf dem Poncho eines Indianers" gesprochen. Der Schweizer Kirchen-Pressespiegel erwähnte als eines der wenigen Presseorgane wenigstens die Erscheinungen: "Juan Diego war im Dezember 1531 eine dunkelhäutige Mariengestalt gleich mehrfach erschienen. Kaum zehn Jahre nach der Unterjochung des Aztekenreiches durch die spanische Krone schenkten die Geistlichen aus Übersee dem hergelaufenen Indio zunächst keinen Glauben. Schliesslich schickte die Jungfrau den verdatterten Juan Diego mit einem Blumenstrauss zum amtierenden Bischof Fray Juan de Zumarraga. Die Rosen, so will es die Legende, hinterliessen auf dem ponchoähnlichen Umhang des Überbringers das Abbild der Muttergottes, wie man es noch heute farbecht unter Panzerglas am Wallfahrtsort besichtigen kann."
Historische Spuren
Nun also ist Juan Diego, dessen Erlebnis von 1531 wir das wohl mysteriöseste Kultobjekt aller Zeiten verdanken, ein Heiliger - trotz all der Querelen um seine Existenz oder Nichtexistenz. Hat Kardinal Norberto Rivera Carrera, der Erzbischof von Mexiko, recht mit dem, was er in einem Interview sagte? "Jeder, der ein gewisses Urteilsvermögen hat, wird die Existenz von Juan Diego nicht in Frage stellen, da es sehr viele Daten zur geschichtlichen Feststellung gibt."
Bereits schon einmal gab es einen grossen öffentlichen Streit um das Bild und um Juan Diego, der zu einer offiziellen Untersuchung führte, von der Kirche in Auftrag gegeben. Es sollte dabei die Frage geklärt werden, ob das Bild - wie behauptet - "nicht von Menschenhand gemacht" und auf mirakulöse Weise entstanden sei, und ob es Juan Diego wirklich gegeben habe. 1666 traten dann im Rahmen dieser Untersuchung nicht nur zahlreiche Zeugen auf, Nachkommen von Personen, die Juan Diego noch persönlich gekannt oder gesehen hatten und die die Überlieferung über ihn und seine Erscheinungen bestätigten, sondern auch Künstler und Wissenschaftler, die das Bild gründlich inspizierten und dann als unerklärlich klassifizierten. Im Untersuchungsbericht der Prüfungskommission (bis heute erhalten in den "Informaciones Juridicas") von 1666, der nach Rom gesandt wurde, heisst es: " ... dass es menschlich für jeden Künstler unmöglich ist, so etwas Vorzügliches auf ein so grobes Tuch, wie es die Tilma oder das Kaktusfasermaterial ist, auf welcher das himmlische Bild erscheint, zu malen oder herzustellen." Der gute Erhaltungszustand von Bild und Gewebe verstosse gegen alle Prinzipien der Wissenschaft. Das Bild sei nicht durch eine natürliche Ursache entstanden, seine Entstehung sei "nur erklärbar durch Gott, der Wunder vollbringen kann, ohne sich an die Regeln der Natur halten zu müssen".
An dieser Aussage hat sich im wesentlichen bis heute nichts geändert: noch immer sind - trotz allermodernster High Tech - die Entstehung des Bildes, sein guter Erhaltungszustand und seine Merkmale wissenschaftlich nicht erklärbar. Nur eines weiss man inzwischen genau: das Bild ist definitv kein Gemälde. Was es denn ist, das konnte noch nicht ermittelt werden.
Zu den historischen Quellen, die die Realität der damaligen Ereignisse bestätigen, gehören indianische Bilderhandschriften (wie der Codex Saville, der Codex Escalada, der Florentine Codex u.a.) ebenso wie der Urbericht über die Erscheinungen, "Nican Mopuhua" und seine Parallelen, eine "Karte von Uppsala" (eine künstlerische Darstellung der Stadt Mexiko und Umgebung aus dem Jahr 1556 - 1562, die bereits eine Kapelle auf dem Tepeyac zeigt), ein Bericht eines englischen Seefahrers, Lieder und Gedichte aus dem 16. Jahrhundert, die von der mirakulösen Entstehung des Bildes erzählen, sowie Dokumente aus den Archiven von Guadalupe wie Testamente, juristische Dokumente, Spendenquittungen, Petitionen für Ablass und Privilegien nach Rom und Gnadenkonzessionen von Rom an Guadalupe, Gemälde mexikanischer Künstler des 17. und 18. Jahrhunderts und vieles mehr.
Szene des Codex Excalada: am rechten Bildrand in einem ovalen Lichtkranz die Erscheinung der Frauengestalt auf dem Tepeyac
Titelbild des Nican Mopuhua
Neben all diesen schriftlichen Hinterlassenschaften gibt es jedoch auch Bestätigungen für das Guadalupe-Ereignis auf dem Gebiet der Geschichte und Archäologie. Ausgrabungen am vermutlichen Geburtsort Juan Diegos in Cuauhtitlán brachten wichtige Ergebnisse ans Tageslicht, die die mündliche Überlieferung bestätigen. Der Geburtsort gilt als umstritten: in Frage kommen neben Cuauhtitlán noch Tulpetlac und San Juaníco, alle drei gelegen im Hochtal von Mexiko, doch die Funde in Cuauhtitlán lassen diesen Ort am wahrscheinlichsten erscheinen.
Das gegenwärtige Kirchengebäude im Ort stammt vom Ende des 18. Jahrhunderts, doch Archäologen fanden direkt daneben die Überreste einer Kapelle, der Jungfrau von Guadalupe geweiht, die schon aus dem 16. Jahrhundert stammt. Auch die indianischen Zeugen, die 1666 vor der Prüfungskommission auftraten, nannten übereinstimmend Cuauhtitlán als Geburtsort von Juan Diego.
Ein in Cuauhtitlán errichtetes Franziskanerkloster, dessen Gemeinderegister bis ins Jahr 1587 zurückreicht, macht dies noch wahrscheinlicher: unter den Namen der Bekehrten und neuen Gemeindemitglieder taucht auffallend oft der Name "Juan Diego" auf, ein sonst damals eher selten benutzter Name. Offenbar wollten damals zahlreiche Männer den Namen des berühmten Indios tragen. Die mündliche Tradition in Cuauhtitlán über "ihren" Juan Diego ist bis heute lebendig und zeigt sich bei zahlreichen Festen und Märkten.
Auch Ausgrabungen an verschiedenen Stätten in den USA bestätigen die Ereignisse um Guadalupe. Bei Ausgrabungen im vorigen Jahrhundert in Florida, Alabama, Georgia, Utah und South Carolina kamen Artefakte zum Vorschein mit eindeutigem Bezug auf die Jungfrau von Guadalupe und auf Juan Diego, aus dem 16. Jahrhundert stammend. Daraus schliessen die Archäologen, dass bereits um diese Zeit Spanien Expeditionen organisierte, um die Ostküste von Amerika zu erobern und katholische Missionsstationen zu errichten.
Doch der wichtigste Beweis für die Realität der Guadalupe-Ereignisse ist das rästelhafte unerklärliche Marienbild selbst - ein materieller Beweis für ein ganz aussergewöhnliches Ereignis vor gut 500 Jahren, ein Ereignis, das wir immer noch nicht verstehen können, und ein Artefakt, das wir weder kopieren noch enträtseln können. Schade, dass die Medien die Chance, einmal zahlreiche Leser auf dies Mysterium aufmerksam zu machen, ungenutzt vorübergehen liessen. Wäre es nicht viel interessanter gewesen, über den noch immer unbekannten Hersteller des Bildes zu debattieren, als über die Existenz oder Nichtexistenz Juan Diegos?
Literatur:
Badde. Paul: "Schau mir in die Augen, Kleiner!" Zur Heiligsprechung Juan Diegos. In: Die Welt, 31. 7. 2002
Blume, Klaus: Neue Heilige für Guatemala und Mexiko. In: Mannheimer Morgen, 30. 7. 2002
Ermel, Gisela: Rätselhafte Tilma von Guadalupe. Marktoberdorf 2002
Jeffry, Paul: New Book brings Debate about Mexican Saint into Public View. www.ucc.org/news/e060702d.htm
Katholischer Nachrichtendienst, 31. 7. 2002
Kathpress, 31. 7. 2002
Kirchen.ch/Pressespiegel, 10. 12. 2001
Lorenz, Beltran L.: La historidad de Juan Diego. Mexico City 1981
Nebel, Richard: Altmexikanische Religion und christliche Heilsbotschaft. Immensee 1983
Nebel, Richard: Santa Maria Tonantsin - Virgen de Guadalupe. Immensee 1992
Nougez, Xavier: Documentos guadalupanos. Mexico City 1993
Netzeitung.de, 31. 7. 2002 + 1. 8. 2002
Our Lady of Guadalupe. Historical Sources. In: L'Osservatore Romano, 23. 1. 2002
Rheinpfalz Online Dienste, 31. 7. 2002 + 1. 8. 2002
Stiller, C.: Hier wird der Reihe nach erzählt - Nican Mopuhua. Annweiler 1988
Sullivan, Kevin: Myth Versus Miracle. In: Washington Post, 5. 2. 2002
Mehr zum Thema:
Gisela Ermel:
Rätselhafte Tilma von Guadalupe.
Auf dem Spuren eines unerklärlichen Bildes.
ARGO-Verlag, Marktoberdorf 2002
265 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen