Freitag, 13. Februar 2009

Das Schleiertuch von Manoppello

Kunstwerk, Wunder oder Paläo-SETA-Artefakt?


Gisela Ermel


In: Sagenhafte Zeiten, Nr. 1/09, Beatenberg 2009





"Auf den ersten Blick nicht unbedingt eindeutig beantworten lässt sich die Frage, ob die Ursache dieser 'Hinterlassenschaften' eher einer göttlichen oder einer hochentwickelten fremden Macht zugeschrieben werden muss. Doch die erstgenannte Alternative ist zumindest sehr unwahrscheinlich."


Johannes und Peter Fiebag: In: "Zeichen am Himmel", 1995





Das Schleiertuch - auch Volto Santo - von Manoppello





Im September 2006 feierte ein kleines Städtchen in den italienischen Abruzzen die 500-Jahr-Feier des rätselhaften Schleiertuches von Manoppello, auch bekannt als "Volto Santo". Niemand geringerer als Papst Benedikt XVI. nahm dieses Jubiläum zum Anlass und flog per Helikopter nach Manoppello, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen und sich selbst einen Eindruck von diesem kostbaren Schatz zu machen.







September 2006: Der Papst in Manoppello



Eine riesengrosse Pilgermenge war zugegen, als ein Erzbischof, zwei lokale Politiker und der Bürgermeister den Papst begrüssten, sodann Reden und Ansprachen gehalten, eine Meditation zelebriert und Geschenke überreicht wurden. Sicherheitsbeamte überwachten das wichtige Ereignis, und die Manoppelleser hatten alle Häuser mit weiss-gelben Schleifen und Fahnen geschmückt. Diejenigen, die keinen Platz direkt in der Kirche des Kapuzinerklosters ergattern konnten, hatten die Möglichkeit, das Geschehen auf einem der aufgebauten Grossbildschirme zu verfolgen. Das Ereignis machte das Schleiertuch mit einem Schlag weltberühmt, und der Papstbesuch in Manoppello hatte einen unglaublichen Zulauf an Pilgern aus nah und fern zur Folge.



Was aber hat es auf sich mit diesem mysteriösen farbigen Bild eines bärtigen Männerantlitzes auf einem hauchdünnen Schleiergewebe? Nicht nur die Geschichte dieses Gegenstandes ist interessant, auch die Ereignisse und Forschungsergebnisse aus der Zeit nach dem Papstbesuch sind es. Gerade die neuesten Informationen über das Bild entrücken es seiner religiösen Aura und machen es insbesondere zu einem wichtigen Objekt der Paläo-SETI-Forschung.



Die Geschichte


Im Jahr 1646 veröffentlichte Donato de Bomba, ein Kapuzinerpater des Klosters in Manoppello, sein Werk "Relatione historica", in dem er die Ergebnisse seiner Nachforschungen präsentierte, die er über das im Kloster aufbewahrte Schleiertuch angestellt hatte. Das notariell beglaubigte Dokument gibt als Ankunftszeit der Reliquie das Jahr 1506 an. In diesem Jahr sei ein fremder Mann in Manoppello aufgetaucht und habe das Bild Dr. Giacomo Antonio Leonelli übergeben, einem gelehrten und vornehmen Ortsbewohner. Der kostbare Gegenstand blieb etwa ein Jahrhundert lang im Besitz der Familie Leonelli und wurde stets weitervererbt. Im Jahre 1618 habe dann Maria Leonelli das Schleierbild an einen Adligen namens de Fabritijs verkauft, der es seinerseits 1638 an die Kapuziner verschenkte, die ein, zwei Jahrzehnte zuvor dort ein Kloster gegründet hatten. Pater Clemente del Castelvecchio liess das Tuchbild in einen einfachen Walnussholzrahmen fassen. wofür zuvor mit einer Schere die Ränder des Gewebes begradigt wurden, da sie bereits etwas ausgefranst waren. Das gerahmte Bild erhielt seinen Platz auf dem Altar der Klosterkirche. (1)



Das waren - kurz zusammengefasst - die historischen Informationen, die Donato de Bomba hatte ermitteln können. Im selben Jahr, als er sie schriftlich präsentierte, gestattete die katholische Kirche erstmals den öffentlichen Kult des Volto Santo. Bald schon zogen "Gnaden und Wunder" im Zusammenhang mit dem Bild die Aufmerksamkeit der Stadtbewohner und Gläubigen umgebender Ortschaften auf sich. Immer mehr Pilger reisten an, um die Reliquie zu verehren und vor ihr zu beten. Bereits etwa vierzig Jahre später konnte es sich das Kloster leisten, zur Aufbewahrung des kostbaren Schatzes eine kleine Kapelle mit Altar und einem Aufbau für das Bild zu errichten. Man begann am 6. August, dem Feiertag der Verklärung Jesu, ein jährliches Fest des Volto Santo zu feiern, bei dem das Bild mit feierlichen Prozessionen durch die Strassen des Städtchens getragen wurde.



Im Jahr 1703 liess Pater Bonifacio d'Ascoli einen kostbaren Rahmen aus Silber anfertigen, um dem Bild einen würdigeren Rahmen zu geben. Damit wollte man auf stilvolle Weise das neue jährliche Volksfest des Volto Santo, gefeiert am 3. Sonntag im Mai, begehen. Als die Mönche den Schleier aus dem alten Holzrahmen herausnahmen und in den neuen Silberrahmen legten, waren sie zu Tode erschrocken. Das Bild war verschwunden, und zu sehen war nichts weiter als ein weisser leerer Schleier. Das überraschende Phänomen soll mehrere Tage lang angedauert haben. Erst als man das Bild zurück in seinen alten Rahmen legte, erschien das Bild wieder.



Doch so leicht gaben die Kapuziner nicht auf. Elf Jahre später versuchten sie erneut, das Schleierbild vom alten Holzrahmen in den viel schöneren Silberrahmen zu übertragen. Und wieder passierte dasselbe mysteriöse Drama, und wieder musste man das Bild, um es sehen zu können, im alten Rahmen belassen. Doch man wusste sich zu helfen. Etliche Jahre später setzte man kurzerhand das Bild mitsamt seinem alten Nussholzrahmen in ein grosses Silberreliquiar ein, und diesmal verschwand das Bild nicht wieder von der Oberfläche des hauchdünnen Schleiers. Pilger, die zu dieser Zeit Manoppello aufsuchten und die Reliquie bewunderten, erhielten einen vollkommenen Sündenablass. Die gut besuchte Kultstätte wurde immer wieder erweitert, um den geistlichen - und weltlichen - Bedürfnissen der Besucher besser entsprechen zu können.


Ein wissenschaftliches Rätsel

Viel Zeit verging, bevor das Schleierbild zum ersten Mal wissenschaftlich erforscht wurde. In den 1970er Jahren befasste sich Bruno Sammariccia, ein Psychologe und Schriftsteller, mit der mysteriösen Reliquie. Er kannte einen Techniker, der mittels Elektronik Kunstwerken aus der Moderne und der Antike "auf den Zahn" fühlte. Ihn und weitere Fachleute nahm er mit nach Manoppello, wo das Team das Schleierbild u.a. unter polarisierenden Strahlen einer Wood-Lampe untersuchte. Dieses Experiment erzielte verblüffende und unerwartete Resultate.



Wood-Licht ist eine langwellige UV-Lichtquelle im nicht sichtbaren Bereich, benannt nach ihrem Entdecker Robert W. Wood, angewendet in der Fotografie und in der Medizin, Dinge und Details sichtbar machend, die man sonst nicht sehen kann. Als nun das Wood-Licht auf das Silberreliquiar mit dem darin befindlichen Bild gerichtet wurde, rief es Reaktionen intensiver Farbe und Leuchtkraft auf dem Silber und dem Holzrahmen hervor, doch zur Verblüffung aller Anwesenden keinerlei Reaktion auf dem Schleier, wie wenn das Licht in die absolute Leere gehe.



Man experimentierte noch ein wenig, doch es gab immer dasselbe Ergebnis: alles andere schien auf das Wood-Licht zu reagieren, nur das Schleierbild nicht. Den Forschern war dieser Fakt absolut unerklärlich, und Sammariccia schrieb später: "Dies beweist, dass irgendetwas im Schleier nicht den bekannten physikalischen Gesetzen folgt." Er war nicht abgeneigt, den Kapuzinern zu glauben, die schon von Anfang an behauptet hatten, dies Bild sei ein "nicht von Menschenhand gemachtes" Objekt, ein Acheiropoietos.



Während dieser ersten Untersuchung wurden auch die ersten Fotos durch den Fotografen Gianni Cati vom Volto Santo angefertigt, der auf Bitte von Sammariccia nach Manoppello gekommen war. Professor Giorgio Baitello vom Kerninstitut in Chieti, der ebenfalls zum Team gehörte, wurde gebeten, den Schleier zu begutachten und zu vermessen. Er bestätigte nach seiner gründlichen Untersuchung, dass beides - Schleier und Bild - zusammen betrachtet ein echtes Rätsel darstellen. (2)



Eventuell war der Erste, der vermutete, das Antlitz auf dem Schleier könne deckungsgleich sein mit dem Antlitz auf dem ebenso rätselhaften Turiner Grabtuch, ein Manoppello-Pilger der 1970er Jahre. Schwester Blandina Paschalis-Schlömer, damals noch eine Trappistin der Abtei Maria Frieden in der Eifel, die diesen Aspekt des Bildes weit bekannt machen sollte, wurde 1977 auf den Gegenstand aufmerksam, als sie einen Kongress der Grabtuchforscher in Nizza besuchte, auf dem u.a. eine Gigantographie des Volto Santo gezeigt wurde. Sie arbeitete in den folgenden Jahren daran, minutiös beide Antlitze auf Fotos miteinander zu vergleichen.



Ein Jahr später erschien ein Artikel des italienischen Journalisten Renzo Allegri, der Manoppello besucht hatte. Der Kapuziner Pater Antonelli, damals Rektor des Klosters, hatte Allegri bereitwillig Auskunft über den kostbaren Schatz gegeben und ihm eindrucksvoll demonstriert, wie hauchdünn der Schleier mit dem Bild sei. Er hielt für seinen Besucher "hinter das Reliquiar ein Büchlein ... und ich lese klar auch die kleinsten Worte." Der Schleier sei so hauchdünn, schrieb Allegri, dass man eine hinter das Bild gehaltene Zeitung sehr gut lesen kann. "Wie es möglich gewesen sein kann, auf einer so feinen Schleiergaze einen Druck eines so deutlichen Bildes anzubringen, ist ein Mysterium", so lautete das Fazit des Journalisten.



Er erwähnte auch den erstaunlichen Dia-Effekt, der darin besteht, dass man das Bild von beiden Seiten aus gleich gut sehen könne, so dass nicht einmal feststeht, welches die vordere und welches die hintere Seite des Tuches ist. "Natürlich sind verschiedene Hypothesen aufgestellt worden in dem Bestreben, zu einer plausiblen Erklärung zu kommen. Man dachte sich, dass das Bild das Werk eines fähigen Künstlers sei, aber Wissenschaftler, Maler, Gelehrte verschiedener Disziplinen schliessen dies aus. Kein Künstler kann eine Arbeit dieser Art vollbracht haben." (3)







Das Schleierbild von Manoppello: oben: durchsichtig, wenn man es im Gegenlicht sieht, unten: nicht durchsichtig bei dunklem Hintergrund







Das Gewebe des Schleiertuches



1985 besuchte Heinrich Pfeiffer, Professor für christliche Kunstgeschichte an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, Manoppello, nachdem er von Schwester Blandina Paschalis-Schlömer auf das Schleiertuch aufmerksam gemacht worden war. Er, wie auch Schwester Blandina, waren sich darin einig, dass das Tuch des Schleiers zu fein sei, um Seide oder extrem feines Leinen sein zu können, wie viele Manoppello-Besucher vermutet hatten. Eine wissenschaftliche Untersuchung zur Bestimmung des Stoffes hatte es jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben.



1992 und 1997 konnte Schwester Blandina auf dem Grabtuchforscherkongress in Rom und in Nizza überzeugend ihre Ergebnisse präsentieren, die ganz klar zeigten, dass beide Gesichter - das Antlitz auf dem Turiner Grabtuch und das Antlitz auf dem Schleiertuch - deckungsgleich seien, wenn man die Masse anglich, und es sich demzufolge um dieselbe dargestellte Persönlichkeit handeln müsse.






Die Antlitze auf dem Volto Santo und dem Turiner Grabtuch im Vergleich:
links das Volto Santo, in der Mitte das Gesicht auf dem Grabtuch, rechts
beides übereinander projiziert


Hightech für das Wunderbild

1999 geriet das Schleierbild erstmals in den Blick einer grossen Öffentlichkeit, als Heinrich Pfeiffer auf einer Pressekonferenz behauptete, das 1527 in Rom verschwundene Tuchbild der "Veronika" in Manoppello gefunden zu haben. Es regnete Schlagzeilen in etlichen Tageszeitungen. In Manoppello eröffnete man eine Ausstellung, deren Mittelpunkt die Bilder mit den Ergebnissen von Schwester Blandinas Forschung waren. Die Besucher und Pilger vor Ort fragten sich: Ist hier Jesus Christus dargestellt - einmal als Verstorbener auf dem Turiner Grabtuch und einmal als Auferstandener auf dem Schleiertuch?



Sind die "Veronika" aus Rom und das Volto Santo identisch? Dieses Gemälde von 1410 zeigt ein ebenso durchsichtiges Schleiertuch wie das von Manoppello als sog. "Veronika" Im Jahr 1410 aber war das Volto Santo noch nicht in Manoppello vorhanden - befand es sich als "Veronika" in Rom?


In selben Jahr, 1999, nahm Germano di Pietro, der Rektor des Klosters von Manoppello, Kontakt auf mit Prof. Donato Vittore, einem Wissenschaftler von der Universität in Bari. Er bat ihn um Hilfe bei der Anfertigung hochwertiger und detaillierter Fotos des Schleierbildes. Noch im selben Jahr reiste Prof. Vittore mitsamt einer Hightech-Ausrüstung in den kleinen Ort. Für die Fotos kombinierte er einen Digitalscanner mit einer Kamera für hochauflösende Fotos. Später berichtete der Wissenschaftler über seine Arbeit:


"Zur Herstellung von dreidimensionalen Knochenmustern gebrauche ich als Orthopäde und Traumatologe Röntgenbilder und Computertomographie. Zum Erhalten eines Bildes habe ich ein verfeinertes Gerät angewendet. Es handelt sich um einen hochauflösenden Scanner, der denjenigen zur Aufnahme der Erdoberfläche durch Satelliten ähnlich ist." (4)


Ein damit in Verbindung mit einer Kamera angefertigtes Bild kann dann auf dem Computer verarbeitet und vergrössert werden, ohne bei der Auflösung Einbussen hinzunehmen. So konnte praktisch jede einzelne Faser, aber auch das gesamte Antlitz des Bildes analysiert werden.


Der erste Eindruck, den Prof. Vittore bekam, als er vor dem Schleier stand, war, dass dies ein Gemälde sein müsse. Bei der folgenden Analyse wurde er jedoch immer unsicherer. Je mehr er hinschaute, desto mehr zweifelte er daran, dass es sich um ein Kunstwerk handele. Nach dem Studium der Aufnahmen im Computer kommentierte Vittore, man könne auf und zwischen den Fasern des Gewebes keinerlei Farbspuren ausmachen. Bei einem normalen Gemälde aber bleiben stets auch Farbreste zwischen den Fasern erhalten. Wasserfarbe konnte definitiv auch ausgeschlossen werden, denn sonst wäre Material ins Gewebe eingedrungen. Es gab zudem keine Spuren von Lösungsmitteln, stattdessen eine rätselhafte Versengung in den Pupillen des Gesichtes. Das Fazit des Wissenschaftlers: "Es kann kein Gemälde sein!" Ein Druck könne es aber auch nicht sein, da man das Bild - was absolut einmalig ist - auf beiden Schleierseiten gleich gut sehe. (4)


Im April 2001 widmete sich einer der Turiner Grabtuch-Forscher dem Schleierbild: Prof. Giulio Fanti von der Universität in Padua. Er analysierte das Gewebe und nahm mikroskopische und spektroskopische Untersuchungen vor. Im selben Jahr wurde Robert Falcinelli, ebenfalls seit Jahren mit der Erforschung des Turiner Grabtuches befasst, bereits zum zweiten Mal erlaubt, das Schleierbild zu inspizieren und zu fotografieren. Die Ergebnisse beider Forscher sollten ein paar Jahre später zu unerwarteten Überraschungen führen.


2004 besuchte Paul Badde, Autor, Journalist und römischer Korrespondent der WELT, Manoppello. Er hatte zum ersten Mal auf dem 3. Internationalen Kongress der Grabtuchforschung in Turin im Juni 1998 von dem rätselhaften Schleierbild gehört, denn er hatte am Abend während des Festbanketts zufällig Heinrich Pfeiffer zum Tischnachbarn gehabt. Als beide angeregt über die Rätsel um das Turiner Grabtuch plauderten, hatte Prof. Pfeiffer gemeint, die wahre Sensation warte in Manoppello, und er berichtete ihm vom Volto Santo.


Als nun Badde nach Manoppello kam, hatte er seine "Hausaufgaben" gründlich gemacht. Er hatte das angebliche "Schweisstuch der Veronika", das Jesus Antlitz während seines Kreuzweges auf wundersame Weise eingeprägt bekommen haben soll, im Petersdom zu Rom aufgesucht. Doch hatte er auf dem Tuch keine Spur irgendeines Bildes erkennen können.


Holographische Eigenschaften

Der Journalist hatte ausserdem einen zweiten Ansatz verfolgt. Paul Badde bezweifelte, dass sich Seide oder superfeines Leinen derart bemalen lasse, "dass das Bild bei bestimmtem Licht praktisch verschwindet". Er vermutete als Erster, es könne sich stattdessen um Byssus handeln, den kostbarsten Stoff der Antike. (17)


Unter Byssus versteht man das aus den Haftfäden einer grossen Muschel - Pinna nobilis - hergestellte hauchfeine, wie Schneeflocken leichte und extrem durchsichtige Gewebe, das als "Meeresgold", "gewebte Luft", "Kammertuch" und "Meeresseide" bekannt war. Es wurde seit dem Altertum in Ägypten, Griechenland, Chaldäa, Kleinasien, Persien und China sowie von den Phöniziern und den Römern hergestellt.


Herstellung von Byssus-Fäden mit einer Spindel



Steckmuschel - Pinna nobilis - mit deren Haftfäden man Byssus herstellte (Zeichnung von 1758)


Auch die Bibel erwähnt mehrmals Byssus, beispielsweise als von Gott Jehova vorgeschrieben wird, zur Herstellung eines Teils der Ausstattung des Allerheiligsten und der hohepriesterlichen Kleidung dieses Material zu verwenden. Den Priestern war es strengstens vorgeschrieben, solche Stoffe zu tragen, wenn sie im Salomonischen Tempel vor der Bundeslade Dienst taten. Im Mittelalter war Byssus unter hohen kirchlichen Würdenträgern und im Hochadel sehr begehrt. Eine Renaissance des kostbaren Gewebes gab es noch einmal im 18. Jahrhundert in Südfrankreich und Süditalien. Heute gibt es in europäischen Museen nur noch ca. 30 Tücher aus Byssus zu bewundern.


Der deutsche Journalist recherchierte, und es gelang ihm, die letzte Muschelseidenweberin der Welt, Chiara Vigo, ausfindig zu machen. Nun stand Paul Badde mit Chiara Vigo, die Byssus noch nach der alten Methode zu weben versteht und dies in ungebrochener Tradition seit Generationen von Byssus-Weberinnen auf der Insel Sant Antioco vor der Küste Sardiniens tut, vor dem Schleiertuch von Manoppello.


"Das ist Byssus!" war ihr überzeugender Kommentar. Und Muschelseidenfäden könne man absolut nicht bemalen, allenfalls aufwendig uni einfärben mit Zitronensaft oder - wie es früher gemacht wurde - mit Purpur. Hier aber auf dem Schleiertuch befand sich das farbige Bild auf den Fasern der Muschelseide in feinsten farbigen Abstufungen. (5)


Ein Jahr später schrieb Paul Badde, nachdem er erneut in Manoppello gewesen war, über das Bild: "Bei bestimmtem Licht scheint es im Rahmen zu schweben wie ein Hologramm." (18)


Doch die eigentliche Überraschung des Jahres 2005 war der Vortrag von Robert Falcinelli auf einer Grabtuchforscher-Konferenz in Dallas, Texas. Er verblüffte die Zuhörer mit dem Ergebnis seiner Recherche, die lautete, seiner Meinung nach habe Albrecht Dürer das Bild im Jahr 1500 gemalt. Die kleine "Versengung" in der Pupille des linken Auges des Antlitzes von Manoppello halte er für eine Signatur des Künstlers. (6)


Wolfang Büscher, der im selben Jahr in Manoppello weilte, schrieb über das Bild: "Angenommen, Jesus habe ein Foto von sich hinterlassen. So eine Art Foto. Ein Lichtbild, per Laser oder wie auch immer einem feinen, nylonartigen durchsichtigen, in seiner Beschaffenheit aber rätselhaften Stück Stoff aufgestrahlt - 2000 Jahre bevor Nylon und 1900 Jahre bevor die Fotografie erfunden wurde. So ungefähr muss man sich die Sache vorstellen, um die es hier geht." Er beschrieb in seinem Artikel eindrucksvoll die rätselhafteste Eigenschaft des Schleierbildes: die Lichtbrechung der Farben, die je nach Lichteinfall in unterschiedlichen Tönungen erscheinen, etwas, das wir z.B. von Schmetterlings- und Käferflügeln kennen. Man spricht auch vom Irisieren oder Changieren von Farben - und nebenbei bemerkt ist dies auch eines der rätselhaften Merkmale der Farben auf dem Wunderbild der Jungfrau von Guadalupe in Mexiko, das gleichfalls fotografische Eigenschaften aufweist. (s. dazu meine Artikel über die Tilma von Guadalupe)


Büscher beschrieb, wie die Kapuziner von Manoppello das Bild jeden dritten Sonntag im Mai aus der Kirche herausholen und es durch den Ort tragen, begleitet von Tausenden von Pilgern, die ganz gespannt sind auf "die wunderbare Wandlung des heiligen Antlitzes im flatterhaften Frühlingslicht. Zieht eine Wolke auf oder der Pilgerzug geht durch eine schattige Gasse, verändert es seinen Ausdruck .... Nein, das Gesicht des Herrn sei nie dasselbe auf seinem Weg durch Manoppello..." (7)


Zu dieser Zeit war längst klar geworden, welch wertvollen Gegenstand man hier aufbewahrte, und stattete ihn endlich mit einer Alarmanlage und Panzerglas aus.


Paul Badde schrieb im Februar 2006, das Bild "vereinigt in sich Qualitäten von Fotos, Holographien, Gemälden, Zeichnungen mit rätselhaften Unmöglichkeiten und Ungenauigkeiten." Die Schattierungen seiner feiner "als Leonardo da Vinci sie mit seiner Sfumatura zu zaubern verstand. In manchem erinnert das Bild an eine Fotografie, doch in der Iris ist die rechte Pupille leicht nach oben verschoben, wie es in keinem Foto möglich ist. Genausowenig kann das Bild eine Holographie sein, der es trotzdem gleicht, wenn Licht von hinten den Schleier bescheint." (8)


Warum kann dieses Bild keine Holographie sein? Nur aus dem einen Grund: weil es vor 500 bzw. 2000 Jahren noch keine Technik der Holographie gab? So einfach darf man es sich nicht machen.


Das Jesus-Foto

Im selben Jahr - 2006 - zeigte ein Film, den 3Sat am 9. Juli ausstrahlte, das Phänomen der changierenden Farben. In einem Experiment sollte der Effekt mit einem bedruckten Seidentuch wiederholt werden, aber das eigentümliche Merkmal der Lichtbrechung und des wechselnden Gesichtsausdrucks wie beim Volto Santo in unterschiedlichem Licht liess sich nicht imitieren. (9)


Das Jahr 2006 brachte dann den schon erwähnten Papstbesuch in Manoppello. Alle grossen Fernsehsender zeigten die Bilder. Was die Popularität des Volto Santo anbelangt, so war dies Ereignis ein "point of no return", ein Punkt, von dem an keine Umkehr mehr möglich ist. Alle Welt schien sich mit einem Mal für die rätselhafte Reliquie zu interessieren.


Im Januar 2007 unternahm ein Team unter der Leitung von Prof. Giulio Fanti im Auftrag eines ZDF-Filmteams Untersuchungen am Schleiertuch. Man hatte auch Bruno Forte, den Erzbischof von Chieti-Vasto, zur anschliessenden Expertentagung eingeladen und um einen Beitrag gebeten. Am 6. April, einem Karfreitag, wurde dann im Abendprogramm die einstündige Dokumentation "Das Jesus-Foto" ausgestrahlt. Sie zeigte vor allem eines: wie man es nicht machen sollte! Bruno Forte, der ganz klar ausgesagt hatte, dass das Bild weder eingewoben noch aufgemalt sein könne, eher könne man an eine Art Foto denken, kam im gesamten Film überhaupt nicht vor. Stattdessen wurde erwähnt, das Bild zeige eventuell Raffael, von Albrecht Dürer gezeichnet. Auch die Aussagen Schwester Blandinas waren aus dem Film herausgeschnitten worden. Die "Sensation" kam zum Schluss des Films: Prof. Fanti habe einen (!) Farbpartikel bei seiner Untersuchung im Januar entdeckt, und die Zuschauer wurden mit diesem Cliffhanger entlassen mit der vagen Andeutung, das Schleierbild sei wohl doch nur ein Gemälde.


Nach der Ausstrahlung des Filmes regnete es von verschiedenen Seiten Kritik. Der Bericht sei tendenziös und wissenschaftlich unzureichend und präsentiere reisserisch Halbwahrheiten. Das sei Sensations-Journalismus, auf Quote getrimmt. Insbesondere über den Fakt mit dem "einen Farbpartikel" regte man sich in informierten Kreisen auf.


Dr. van den Hoevel vertrat in einem Artikel, der sich auf die ZDF-Dokumentation bezieht, die Ansicht: Da sich das Antlitz nicht auf das von Fanti festgestellte Farbpigment reduzieren lasse, sondern auf dem gesamten Tuch vorhanden ist, sei dies Ergebnis belanglos. Muschelseide sei NICHT bemalbar! Kein moderner Maler hätte ohne moderne Scanner-Technik die hauchdünnen Fäden mit Farbe versehen können, zudem lediglich partiell, ohne auch nur in einem einzigen Fall die millimeterbruchteilkleinen Zwischenräume zu treffen. Van den Hoevel bemängelte zudem, dass das ZDF die Lichtbrechung der Farben des Bildes ignoriert habe. (19)


Prof. Fanti hatte einen Tag nach seinen Untersuchungen für das ZDF einen Vortrag in Padua gehalten, bei dem er das Volto Santo ausdrücklich als ein "nicht von Menschenhand gemachtes" Objekt bezeichnete. (11) Davon war im TV-Film keine Rede.


Cornelia Schrader ging in einem Leserbrief an das ZDF auf die Aussage ein, dass man auf der Rückseite des Bildes keine Zähne sehe. "Jeder, der das Bild selbst gesehen hat, hat natürlich die Zähne auf der Rückseite gesehen, jeder weiss auch, dass die Zähne auf der Vorderseite genauso verschwinden können wie auf der Rückseite, allein durch den Lichteinfall." (12)


In einem Kommentar zum ZDF-Film schrieb der Chemiker Heinz Liechti: Der Farbwelchsel im Bild sei am besten erklärbar durch Refraktion und Diffraktion. Falls es sich doch um Farbspuren handel sollte, so wäre das Wunder noch komplizierter. Man sehe deutlich z.B. im linken Auge, dass ein und dieselbe Stelle im Bild verschiedene Farbtöne haben kann, die sich absorptions-spektroskopisch aber ausschliessen, z.B. gold oder blau, rot oder grün, und physikalisch normalerweise nur durch Beugungsgitter - wie auf einem Schmetterlingsflügel - entstehen können. Bei einem durchsichtigen Muschelseidentuch entstehe so ein Hologramm; die verursachende Struktur sollte seiner Meinung nach mit Rasterelektronen-Mikroskop oder Fluoreszenz-Spektroskopie ausfindig zu machen sein. "So oder so ist es aber wichtig hervorzuheben, dass es sich selbst dann um ein Wunder handelt", so das Fazit des Chemikers. (19)

Während es kritische Leserbriefe an das ZDF regnete, hatte Schwester Blandina in aller Stille einen Originalfaden vom Schleierbild entnommen, der aus dem alten Holzrahmen herausragte. Im April 2007 führte sie eine mikroskopische Untersuchung des Fadens durch sowie Vergleiche mit Byssusfäden, die ihr Chiara Vigo zur Verfügung gestellt hatte. Die Vergleichsfäden stammten aus dem 1. Jh.v.Chr., aus den Jahren 1840 und 2000. Das Ergebnis der Analyse zeigte ganz klar, dass alle Proben identisch waren: abgeflachte, durchsichtige, schlauchartige Gebilde mit glänzender Oberfläche und kristallartigen Ablagerungen entlang der Fasern über die ganze Oberfläche hin (Meeressalzkristalle). Der Vergleich mit den anderen Fäden zeigte zudem, dass der Faden vom Schleiertuch sehr alt ist. Schwester Blandina schrieb in ihr Tagebuch:

"Auf Grund dieser heutigen Beobachtung glaubte ich sagen zu dürfen, dass der vom Holzrahmen des Volto Santo entnommene Faden nichts anderes ist als Meeresbyssus, und zwar sehr alter." (13)

Am 30. April 2007 fand eine erneute Untersuchung am Original statt, im Auftrag von Prof. Fanti, der das von ihm aufgespürte Farbpigment und - falls vorhanden - weitere solche mit einem Farbmessverfahren verifizieren lassen wollte. Dazu hatte er Prof. Pietro Baraldi, einen Chemiker von der Universität in Modena, nach Manoppello geschickt. Man holte das Volto Santo, ohne es aus dem schützenden Glas zu nehmen, in das Büro von Pater Carmine, und der angereiste Professor legte mit all seiner Hightech los. Anwesend waren noch Schwester Blandina und weitere Fachleute. Prof. Fanti hatte genaue Anweisungen mitgegeben, an welchen Stellen die Spektroskopie zum Einsatz kommen sollte. Durchgeführt werden sollten die üblichen Messungen wie sie bei Gemälden gemacht werden. Prof. Baraldi hatte keine Ahnung, um was für ein Objekt und um was für brisante Fragen es sich hier handelte, er ging vollkommen unbefangen an die Sache heran. Dem Professor wurde immer mulmiger zumute, je länger die Untersuchungen per Ramanmikroskop und Laser dauerten. Und er konnte immer weniger glauben, dass es da nichts zu messen und zu finden gab. Nach einiger Zeit äusserte er den Verdacht, Prof. Fanti habe sich wohl einen Scherz mit ihm erlaubt, habe ihn mit einem 700.000 Euro teuren Gerät von Modena herbefohlen - und all das, ohne dass es nun ein einziges positives Ergebnis gebe!

Auch die Wood-Lampe führte zu nichts, was man hätte identifizieren können. Die Geräte zeigten ganz deutlich eines: eine vollkommen von Farbpartikeln leere Oberfläche, egal, wo man mass. Der Professor habe zum Schluss nur noch mehrmals fassungslos "Mysterium! Mysterium!" gestöhnt und dann ganz frustriert seine Geräte wieder eingepackt, so Schwester Blandina in ihrem Tagebuch.

Fazit der ganzen Aktion: Es konnten keine Spektren bekannter Substanzen festgestellt werden, die nach allgemeinem Kenntnisstand in der Vergangenheit bei irgendwelchen Maltechniken Verwendung gefunden haben. Sämtliche Spektren zeigten nur die Beschaffenheit der Muschelseidefasern an. (13, 14)


Neueste Überraschungen

Das Jahr 2008 brachte noch einmal eine Überraschung. Jan S. Jaworski von der Universität Warschau und Prof. Fanti veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Forschungen, die bereits 2001 begonnen hatten. Die beiden Wissenschaftler hatten 3-D-Technologie verwendet, um das Gesicht auf dem Schleier mit dem Antlitz des Turiner Grabtuches zu vergleichen. Ihr Ziel war, festzustellen, ob es, wie beim Grabtuch, auch beim Volto Santo verborgene 3-D-Merkmale gebe. Mit dieser Technologie kann man Details sichtbar machen, die man mit blossem Auge nicht sehen kann.
Die Überraschung brachte der Vergleich der Vorder- und der Rückseite des Volto Santo. Nachdem Jaworski festgestellt hatte, dass es zahlreiche Parallelen gebe zwischen dem Volto Santo-Gesicht und dem des Turiner Grabtuches (Gesichtsform, Wundmerkmale, Bart, haarlose Zone u.v.m.), aber auch Unterschiede wie die fehlende Blutspur auf der Stirn, erwies sich das Entdecken von Unterschieden im Bild auf der Vorder- und Rückseite des Schleiers als Überraschung. Das Gesicht sei zwar auf beiden Seiten extrem ähnlich (bislang hatte man es als vollkommen identisch gehalten, nur eben spiegelverkehrt), aber es gebe Details, die Unterschiede zeigen, die nicht einfach zu erklären sind.
So z.B. ein Detail an der Haarlocke in der Mitte der Stirn, das eben nicht übereinstimmt. 3-D-Technologie verstärkte diese Beobachtung noch mehr. Fanti meint dazu, so etwas sei bis heute mit ähnlichem Gewebe nicht reproduzierbar und sei deshalb eine "Besonderheit, die für die Hypothese eines Archeiropoietos-Bildes spricht". Es sei vollkommen unvorstellbar, wie ein Künstler etwas derartiges hätte malen sollen auf einem so dünnen Schleier mit ein paar unterschiedlichen Details auf der anderen durchsichtigen Gewebeseite, ohne dass man dies auf beiden Seiten zugleich sehe. Das Fazit der beiden Wissenschaftler: das Schleierbild von Manoppello muss unbedingt weiter untersucht werden, denn bislang seien seine Entstehung und Merkmale absolut rätselhaft. (15)



Detail des Volto Santo: die Stirnhaarlocke: einmal auf der Vorderseite, einmal auf der Rückseite des Tuches (zum besseren Verständnis wurde das rechte Bild spiegelbildlich dargestellt): tatsächlich bestehen Unterschiede



Die Faktenlage

Es wird also spannend bleiben, was die Erforschung dieses mysteriösen Bildes anbelangt. Gegen die Behauptung, das Volto Santo sei doch nur ein Kunstwerk, sprechen die Fakten:


  • die Farben scheinen jeglichen materiellen Charakters zu entbehren

  • Farbstoffe sind keine nachzuweisen

  • das Bild befindet nur auf den Kettfäden

  • das Bild ist von beiden Seiten gleich gut zu sehen wie ein Diapositiv

  • der Farbverlauf ist übergangslos

  • es gibt keine Spuren von Lösungsmitteln, keine Pinselstriche, keinen Kapillarfluss in die Fasern hinein

  • das Bild hat keine scharfen Konturen und ist dennoch nicht verschwommen

  • das Bild ist nur bei bestimmten Lichtverhältnissen erkennbar, bei Gegenlicht sieht man nur einen weissen leeren Schleier

  • aus bestimmtem Winkel wirkt das Bild dreidimensional

  • das Bild zeigt keine Reaktion auf Wood-Licht und bleibt bei UV-Licht unsichtbar

  • das Bild zeigt Lichtbrechung der Farben

In einem Katalog zu seiner Volto Santo-Installation in Köln schreibt der Künstler Ulrich Moskopp: "Die Physis des irisierend-transparenten Muschelseidengewebes ist verwoben, verschränkt und überlagert in diesem Ausdruck, der sich verändert und wandelt, als sei das Bild lebendig." (16) Rätselhaft ist auch die lange Haltbarkeit des empfindlichen Gewebes.


Was ist dieses Bild eigentlich? Eine Art Foto? Ein Druck? Eine Holografie? Ein Hologramm würde erklären, warum man verschiedene Gesichtsausdrücke bei verschiedenen Gelegenheiten und Lichtverhältnissen sehen kann, wie dies schon zahlreiche Pilger bei Zeremonien durch den Ort erleben konnten. Das Bild ist offenbar mit einer uns heute noch unbekannten Technik hergestellt worden. Pater Germano in Manoppello sieht das ganz gelassen: "Die Wissenschaft kommt uns entgegen. Sie entwickelt sich so schnell, dass wir nur abzuwarten brauchen." (5)


Warten wir also ab, ob wir mit zukünftiger Technik entweder dieses Bild mit seinen mysteriösen Merkmalen kopieren oder endlich werden erklären können und ob wir eine Antwort auf die Frage erhalten können: Wer waren der oder die unbekannten Hersteller?


Dr. Johannes Fiebag (20) schrieb 1995: Ein "Artefakt muss, um als ausserirdischer Gegenstand erkannt zu werden, insbesondere zwei Eigenschaften erfüllen: 1. Es muss seine Entstehung zweifelsfrei der Technik einer hochstehenden Zivilisation verdanken. 2. Es muss mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden können, dass diese Technik terrestrisch ist und unserer Zeit entspringt."


Haben wir es beim Volto Santo zu tun mit einem solchen materiellen Beleg eines Kontaktes mit einer fremden Intelligenz?


Literatur


(1) = Bulst, W. / H. Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Frankfurt a.M. 1987/1991


(2) = Sammariccia, Bruno: Il Volto Santo di Gesu a Manoppello. Pescara 1978


(3) = Allegri, R. / P.O. Schenker: Das Volto Santo von Manoppello. In: Das Zeichen Mariens. Nr. 7, Reussbühl 1978


(4) = www.voltosanto.it/tedesca/la_mostra/la_scienza/vittore_studi.htm


(5) = Badde, Paul: Das wahre Gesicht Jesu. In: Die Welt. 28. September 2004


(6) = Falcinelli, R.: The Veil of Manoppello. Work of Art or Authentic Relic? www.shroud.com/pdfs/roberto.pdf


(7) = Büscher, W.: Der Jesus, den uns der Vatikan nicht zeigt. In. Die Zeit. 12. Dezember 2005


(8) = Badde, Paul: Im Anfang war das Bild. In: Die Welt. 18. Februar 2006


(9) = Schwibach, A.: Eine verehrungswürdige Ikone. In: Die Tagespost, 17. Juli 2006


(10) = Hoevel, M. van den: Das Geheimnis von Manoppello. In: Veronica, Nr. 2, Aachen 2007


(11) = Läufer, J.: Leserbrief an das ZDF. In: Veronica, Nr. 2, Aachen 2007


(12) = Schrader, C.: Leserbrief an das ZDF. In: Veronica, Nr. 2, Aachen 2007


(13) = Schlömer, Blandina P.: Tagebucheintragungen. In: Veronica, Nr. 2, Aachen 2007


(14) = Baraldi, P.: Untersuchungen des Volto Santo von Manoppello mit dem Raman-Mikroskop. www.antlitz-christi.de/forschung


(15) = Jaworski, J.S. / G. Fanti: 3-D-Processing to Evidence Characteristics representetd in Manoppello Veil. 2008, www.shroud.com/pdfs/jaworski.pdf


(16) = Moskopp, U.: Volto Santo - Transparenz, Transzendenz - Was ist ein Antlitz? In: Veronica, Nr. 2, Aachen 2007


(17) = Badde, Paul: Und jetzt kommt der Papast. In: Berliner Morgenpost, 27. August 2006


(18) = Badde. Paul: Das Muschelseidentuch. Berlin 2005


(19) = Liechti, H.: Kommentare eines Chemikers. www.antlitz-christi.de/forschung


(20) = Fiebag, J.: Spuren der Aktivität ausserirdischer Intelligenzen auf den Planeten und Monden des Sonnensystems? In. Fiebag / Fiebag (Hg.): Aus den Tiefen des Alls. Tübingen, Zürich, Paris 1995











































Mittwoch, 11. Februar 2009

Das Volto Santo von Manoppello

Gisela Ermel

Vortrag, gehalten auf dem Seminar "Paläo-Kontakt - Zeitreise zu den Göttern aus dem All" in Würzburg, 20. März 1999


Beim sog. Volto Santo von Manoppello handelt es sich um ein farbiges Antlitzbild auf einem hauchzarten Schleier, aufbewahrt im Kapuziner-Kloster in Manoppello, Italien. Dort befindet es sich zwischen zwei Glasplatten in der Monstranz auf dem Altar, und der Besucher des Klosters sieht ein zartes, transparentes weisses Gewebe, auf dem man erst bei genauerem Hinsehen ein perfektes, plastisches Gesicht entdeckt, so plastisch, dass man glaubt, ein reales menschliches Gesicht zu sehen.







Das Volto Santo von Manoppello

Das Bild ist hochrechteckig, ca. 20 mal 40 cm gross, und gilt als Abbild des Antlitzes des Jesus Christus.

Das Schleierbild hat vollkommen rätselhafte Eigenschaften, die alle jene ratlos lassen, die es untersuchten. Das Bild wirkt weder gemalt noch gewoben, was auch die bisherigen mikroskopischen Untersuchungen bestätigten. Weder auf den Gewebefäden noch zwischen ihnen wurde die geringste Spur eines Farbstoffes gefunden, auch nicht bei extremer Vergrösserung oder bei Tests mit UV-Strahlen und anderen Untersuchungen.


Das Gewebe des Volto Santo

Es existieren ganz einfach keine materiell ermittelbaren Farbstoffe, die das Bild erkären könnten. Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass sich die Färbung auf uns unbekannte Weise innerhalb der Fäden vollzogen haben muss. Der ganze feine Schleierstoff ist wie wolkig eingetönt, und doch ergibt sich ein ganz präzises Bild eines männlichen Antlitzes. Man hat es zu tun mit einem übergangslosen Farbverlauf: bei der uns rätselhaften und unbekannten Einfärbung der Fäden wechselt die Tönung ständig und stufenlos von hell zu dunkel, von ganz hell zu tief dunkel und allen dazwischenliegenden Tonwerten, dazu noch übergangslos von Farbe zu Farbe, ohne dass ein An- oder Absetzen eines zunächst vermuteten Farbaufstrichs mit einem Pinsel wahrgenommen werden könnte. Die bisherige Forschung hat jedoch einwandfrei ergeben, dass auf diesem Bild Pinselstriche definitiv nicht vorhanden sind. Wenn mit einem äusserst feinen Pinsel die Farbe auf den Schleier aufgetragen worden wäre, hätten sich notwendigerweise durchgehende Linien bilden müssen, die sich über die Kett- und Schussfäden des Gewebes hinziehen. Solche Linien aber gibt es auf dem Bild nicht. Es kann nicht mit einem Pinsel bemalt worden sein.


Wurde das Bild gewebt? Doch auch diese Bildentstehungsvariante haben die Wissenschaftler verworfen. Dazu hätten alle Fasern einzeln und mit übergangslosen Farb- und Tonwerten noch vor dem Webvorgang eingefärbt worden sein müssen. Das ist völlig undenkbar.


Aber es wird noch phantastischer. Völlig verblüfft waren die Wissenschaftler, die das Schleierbild untersuchten, über die Tatsache, dass sich das Bild offenbar nur auf den Kettfäden befindet. Es ist absolut unvorstellbar, wie dieses Bild entstanden ist: völlig stufenlos verlaufende Farbwerte, lediglich auf den Kett- und nicht auf den Schussfäden, ohne ermittelbare Farbmaterialien - ja, die Forscher wissen nicht einmal, wie ein so hauchzarter Schleierstoff überhaupt hergestellt worden sein konnte!


(Zwischenbemerkung: Siehe hierzu meinen Artikel "Das Schleiertuch von Manoppello" mit den Informationen über Muschelseide)


Noch dazu kommt die glasklare unerklärliche und extreme Durchsichtigkeit des Bildes. Es ist tatsächlich komplett durchsichtig, so dass man eine hinter das Bild gehaltene Zeitung mühelos zu lesen vermag. Ein Besucher, Renzo Allegri, der einen der wenigen Artikel über dies Artefakt schrieb in dem katholischen Blatt "Das Zeichen Mariens", bezeugte, wie der Kapuzinerpater Antonelli ein Büchlein für ihn hinter das im Reliquiar eingefasste Bild hielt, und Allegri auch die allerkleinsten Wörter klar und deutlich zu lesen vermochte. Diese erstaunliche Durchsichtigkeit ist an jeder Stelle des Schleierbildes gleich: überall bleiben der einzelne Faden und das ganze Gewebe gleich glasklar.


Bei Gegenlicht kann man das farbige Bild nicht sehen


Gegen materielle Farben auf dem Bild spricht auch der Umstand, dass keinerlei Kapillarfluss in die Fasern hinein festgestellt werden konnte, was beim Auftragen uns unbekannter Farben einfach unmöglich wäre. Ein Einsaugen von Farben in die Fäden hätte auch die glasklare Durchsichtigkeit unmöglich gemacht.


Noch ein Merkmal hat die Wissenschaftler und alle Bildbetrachter verblüfft: der Dia-Effekt des Bildes. Dieses Farbbild ist von der Vorder- und der Rückseite gleichermassen gut zu sehen, so dünn und durchsichtig ist das Gewebe. Bis heute ist es total unbekannt, welche Seite des Bildes die vordere und welche Seite die hintere ist. Sie wirken völlig identisch, ausser dass das Männergesicht mal nach rechts und mal nach links geneigt ist.

Das Volto Santo mal von vorne, mal von hinten gesehen


Kunstexperten sind sich darin einig: wenn es sich um ein gemaltes Bild handeln würde, so würde ein leichtes Farbverlaufen genügen, um auf dem Bild, das von der Rückseite betrachtet wird, leicht feststellbare Unterschiede zu bewirken. Dieser Dia-Effekt ist aufs allergenaueste untersucht worden: es wurden Aufnahmen in extremer Vergrösserung und mit dem Mikroskop gemacht sowie Digitalaufnahmen, doch es konnte nicht die allergeringste Abweichung und Differenz zwischen Vorder- und Rückseite festgestellt werden.
(Zwischenbemerkung: s. dazu meinen Artikel "Das Schleiertuch von Manoppello". Inzwischen wurden Unterschiede gefunden, die allerdings das Bild noch rätselhafter machen.)

Bei verschiedenen Untersuchungen ergaben sich überraschende Effekte. So waren die Wissenschaftler verblüfft, dass das Bild unter ultravioletter Beleuchtung verschwunden war und sich nur ein völlig weisser Schleier zeigte. Einen ähnlichen Effekt erzielt man, wenn man das Tuch gegen das Licht einer Lampe oder gegen das Licht eines Fensters hält: das Bild verschwindet, und man sieht lediglich den hauchzarten weissen Schleier. (s. Bild, weiter oben)


Schon vor 1978 haben einige Wissenschaftler das Tuch einem besonderen Experiment unterzogen, indem sie es dem sog. Wood-Licht aussetzten. Wood-Licht besteht aus UV-Strahlen, die erlangt werden, wenn man das von einer Quecksilberdampflampe abgegebene Licht durch ein Glas aus Nickeloxid filtriert. Dies Verfahren wird z.B. von Kunstexperten angewandt zur Analyse verschiedener für die Bildherstellung verwendeter Substanzen. Das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von Fluoreszenz gestattet es, zwischen reinen und unreinen, natürlichen und künstlichen Substanzen zu unterscheiden. Die Wissenschaftler erzielten verblüffende Resultate beim Schleierbild: das Wood-Licht rief Reaktionen intensiver Farbe und Leuchtkraft hervor, als es auf das Silberreliquiar und auf den Holzrahmen gelangte, während es keinerlei Reaktion bewirkte, als es auf den Schleier gelangte, wie wenn es in die absolute Leere ginge. Die Forscher sagten, dass dies Verhalten des Wood-Licht absolut unerklärlich sei.


Ein zweites erstaunliches Merkmal des Bildes besteht darin: es ist unmöglich, aus nächster Nähe die Züge des Bildes auszumachen, die im Gewebe absorbiert erscheinen. Eine Nahansicht des Bildes mit blossen Augen ist nicht möglich.


Einige Künstler versuchten, das Bild zu kopieren. Sie benutzten einen Gewebetyp, der dem Schleier am ähnlichsten kam - einen gleichen konnte niemand auftreiben - und machten sich an eine getreue Imitation. Das Resultat war stets enttäuschend, es wich stets weit vom Original ab. Die Qualität des echten Farbbildes konnte nicht einmal annähernd erreicht werden, abgesehen davon, dass die Künstler mit Farbmaterialien arbeiteten, während sich solche auf dem echten Bild nicht nachweisen lassen.

Der Altar mit dem Schleierbild

Bis heute hat sich an dem Urteil der Fachleute und Kunstexperten, die sich mit dem Volto Santo befassten, nichts geändert. Die Bildentstehung ist und bleibt unbekannt. Die Kirche hat sich bis heute auf kein offizielles Urteil eingelassen und verweist auf Legenden, die besagen, das Bild sei "nicht von Menschenhand gemacht".


Renzo Allegri schrieb in "Das Zeichen Mariens": "Wie es möglich gewesen sein kann, auf einer so feinen Schleiergaze einen Druck eines so deutlichen Bildes anzubringen, ist ein Mysterium."


"Natürlich sind", so Pater Antonelli aus Manoppello, "verschiedene Hypothesen aufgestellt worden in dem Bestreben, zu einer plausiblen Erklärung zu kommen. Man dachte sich, dass das Bild das Werk eines fähigen Künstlers sei, aber Wissenschaftler, Maler, Gelehrte verschiedener Disziplinen schliessen dies aus. Kein Künstler kann eine Arbeit dieser Art vollbracht haben."


Ähnlich resümierte auch Kurt Walter Zack, ein Schweizer Architekt, der sich intensiv mit dem Volto Santo befasste: "Wenn der Schleier von Manoppello ein menschliches Werk ist, befinden wir usn vor einem wahren Wunder der Technik."


Dieselbe Ansicht ist von weiteren Wissenschaftlern vertreten worden, die alle absolut fassunglos waren angesichts dieses unmöglichen Schleierbildes.


Noch ein faszinierendes Bildmerkmal sei hier erwähnt, dessen Entdeckung wir der Trapistenschwester Blandina Paschalis Schlömer verdanken. Diese talentierte Ikonographin und Fotografin, war im September 1977 auf einem Fachkongress in Nizza auf dieses Bild aufmerksam geworden, wo u.a. eine Gigantographie des Volto Santo gezeigt wurde. Eine Vorahnung sagte ihr, dass das Antlitz auf dem Schleier deckungsgleich sein könnte mit dem Antlitz auf dem Turiner Grabtuch - beide ja bekannt als das Antlitz Jesus Christus. Mit Hilfe zweier Diapositive, die sie übereinanderlegte, und mit Hilfe eines von ihr selbst entworfenen Koordinatensystems, begann sie ihre minuziös vergleichende Arbeit.


Schon bald konnte sie feststellen, dass unzählige Punkte beider Bilder einander so genau entsrpachen, dass sich aus beiden Bildern ein einziges, kongruentes Bild ergab. Das Ergebnis ihrer Arbeit war der Nachweis der perfekten Übereinstimmung der Darstellung des Antlitzes auf dem Turiner Grabtuch mit dem des Schleierbildes. Doch auf dem Antlitz des Volto Santo sieht man keine Hautblutungen, keine Wunden an der Stirn und über der Nasenscheidewand, jedoch gibt es Blutgerinnsel in denselben Positionen wie beim Antlitz des Grabtuches.


Verschiedene Betrachter des Bildes gaben ihre Ansicht kund, dass das Bild möglicherweise Jesus Christus darstelle im Augenblick der Auferstehung: die Züge des Antlitzes seien extrem fein, licht und transparent - eben so, wie man sich Jesus Auferstehungsleib vorstellte.


Doch die Wissenschaft darf sich nicht auf den Boden religiöser Spekulationen begeben, sondern muss sich an Untersuchungsergebnisse halten. Doch die brachten bis heute keine zufriedenstellenden Resultate.


Bringt die Geschichte des Bildes Licht ins Dunkel seiner Entstehung und Charakteristik?


Eine ganze Reihe von Historikern geht inzwischen davon aus, dass das Volto Santo von Manoppello identisch sei mit dem sog. Wunderbild von Kamulia in Kappadokien, von dem alte Schriften berichten. Dieses "nicht von Menschenhand gemachte" Christusantlitzbild war in ganz Kleinasien weit berühmt, und wir besitzen heute zwei verschiedene Entstehungs-Überlieferungen.


In Version A haben wir eine Handschrift, die uns in syrischer Übersetzung aus dem Jahr 560 erhalten ist. In welcher Zeit sich das Ereignis abspielt, das darin geschildert wird, wissen wir nicht genau. Dieser Text erzählt von einer jungen Heidin, die ermahnt wurde, Christin zu werden. Sie habe argumentiert: Wie soll ich jenen ehren, da er nicht sichtbar ist und ich ihn nicht kenne? Nun habe sie eines Tages in einem Gartenwasserbassin bei ihren Haus ein Schleierbild mit dem darauf befindlichen Antlitz Christi gefunden. Sie nahm es aus dem Wasser heraus, "und als sie es heraufnahm, ohne dass es nass war, wunderte sie sich und verhüllte es mit dem Mantel, den sie trug..." Später habe man zu Ehren des Bildes einen Tempel erbaut, und der Ruhm des "Wunderbildes" verbreitetet sich überall im Lande und darüberhinaus.

Entstehungsversion B stammt sehr wahrscheinlich von Gregor von Nyssa, einem griechischen Kirchenvater des 4, Jahrhunderts. Er verlegt das Geschehen in die Zeit der Christenverfolgung unter Diokletian am Anfang des 4. Jahrhunderts. In dieser Version heisst es, eine himmlische Stimme habe zu der Frau gesprochen und ihr aufgetragen, wenn sie ein sichtbares Zeichen von Christus haben wolle, so solle sie in ihrer Kammer folgende Vorkehrungen treffen: Sie solle dort einen reinen Tisch bereitstellen, ein reines Tuch darauflegen sowie ein unberührtes Gefäss mit Wasser bereitstellen. Sie solle dies alles in einer geschmückten Kammer - mit was geschmückt, verrät der alte Text leider nicht - vorbereiten und sich sodann vor dem Gemach zu Boden legen und die Augen bedecken.

In der folgenden Nacht geschah dann das "Wunder", aber die Frau muss doch entgegen der Anweisung zwischen ihren Händen hindurchgeschaut haben, denn der Text schildert, was sie sah: es erschienen in der Kammer "der Herr" zusammen mit mysteriösen "himmlischen Heerscharen"; es waren undefinierbare Laute zu hören, die der spätere Textverfasser als "heilig, heilig, heilig"-Rufen der "himmlischen Heerscharen" interpretierte. (s. dazu meinen Artikel "Cherubim und Seraphim - Engel, Mischwesen oder Flugobjekte?") Die Frau sah etwas wie Flammen oder Blitze in der Kammer, und dann war alles vorbei. Als sie die Kammer betrat, fand sie dort das wunderbare Schleierbild vor. Spätere kirchliche Überlieferer der Geschichte spekulierten, der "Herr" habe wohl mit beiden Händen sein Antlitz mit Wasser aus dem bereitgestellten Gefäss benetzt und es dann mit dem reinen Tuch abgetrocknet, worauf der Abdruck seines Antlitzes darauf geblieben sei, "das allerwahrste Prägebild", wie es Gregor von Nyssa umschreibt.

Wie das Bild wirklich entstanden ist, darauf mag hoffentlich die zukünftige wissenschaftliche Forschung eine Antwort finden. Unabhängig davon, ob das Schleiertuch von Kamulia in Kappadokien mit dem Schleiertuch von Manoppello identisch ist - oder ob wir es hier, wie einige Historiker meinen, mit der verloren gegangenen "Veronika" aus Rom zu tun haben -, so haben wir doch in den beiden leider verschiedenen Entstehungsversionen einerseits die Aussage über ein auf "wunderbare" Weise durch Unbekannt entstandenes - oder deponiertes - Bild, und auf der anderen Seite ein Artefakt, an dem sich die heutigen Wissenschaftler bezüglich seiner Entstehung und Charakteristik die Zähne ausbeissen.

Das Schleiertuch von Kamulia wurde schnell weitberühmt und verehrt. In der folgenden Zeit wurde es in ganz Kleinasien von gebührenerhebenden (geschäftstüchtigen!) Priestern umhergetragen, bis es dann im Jahr 574 in feierlicher Prozession nach Konstantinopel überführt wurde. In der Predigt zur Überführungsfeierlichkeit heisst es: "Es kam das nicht von Menschenhand Gemachte aus Kamuliana, einem Flecken Kappadokiens."

Das Artefakt wurde zum Schutzpanier des Reiches, wurde auf Feldzügen mitgeschleppt, sollte helfen, die Truppen anzufeuern. In einem Fall jedoch verfehlte es seine Wirkung: der Feldherr Priskos wollte es bei einer Meuterei am Osterdienstag im Jaht 587 zur Beschwichtigung seiner Truppen verwenden. Doch er musste sich samt Wunderbild unter dem Steinhagel seiner Soldaten auf einem schnell bereitgestellten Pferd in Sicherheit bringen.

Doch auch später noch liess Kaiser Herakleios das Kamulia-Bild allen seinen Heerzügen vorantragen. Während des Perserfeldzuges im Jahre 622, so überliefert uns Theophanes, habe der König selbst das Wunderbild getragen, "und im Vertrauen auf das gottgezeichnete Urbild begann er die Kämpfe", heisst es bei Theophanes.

Im Laufe des 8. Jahrhunderts verliert sich die Spur des Bildes. Tauchte es im Jahr 1506 in Manoppello auf?

Für die Identität beider Bilder sprechen alte Aussagen wie die von Simokatta aus dem 7. Jahrhundert, der von diesem Bild schreibt, es heisse von ihm "seit alters und bis auf unsere Zeit gilt, dass göttliche Kunst es gebildet, nicht eines Webers Hände es gewirkt noch eines Malers Paste es gefärbt hat."

Verblüffenderweise scheint genau das die moderne Erforschung des Volto Santo zu bestätigen. Das Bild muss in der Tat beim Betrachter den Eindruck erweckt haben, weder gemalt noch gewoben zu sein. Diesen Eindruck macht das Schleiertuch von Manoppello noch heute auf den Besucher des Klosters.

Georgios Pisides schwärmte in einem Gedicht, das er im 7. Jahrhundert verfasste, über das Schleierbild von Kamulia: "Als anfangslos - nicht gings aus Kunst hervor; als unaussprechlich - ohne Pinsel wird's gemalt."

Wir wissen nicht, welche der beiden Entstehungsversionen die richtige ist, doch beide haben diesen berühmten "sense of wonder", der fromme Kirchgänger ehrfürchtig erschauern lässt - die Wissenschaftler aber neugierig macht.

Auffallend ist in Version A die Wasserresistenz, eine Art Goretex-Effekt, wie wir heute sagen würden. Werner Bulst, einer der Grabtuchforscher, der von kunsthistorischer Warte aus beim Vergleich verschiedener Christusbilder auch das Kamulia-Bild erwähnt, schrieb: "Das seltsame Motiv, dass es als Leinentuch aus dem Wasser gezogen sei, und sich dennoch nicht nass erwiesen habe, kann nicht ganz frei erfunden sein."

Entstehungsversion B wiederum erinnert eher an die Ereignisse von 1531 in Guadalupe: hier wie dort brauchte das versprochene "Zeichen" eine materielle Vorbereitung. (S. dazu meine beiden Artikel zur Jungfrau von Guadalupe).

Wie kam nun dieses "Wunderbild" nach Manoppello? Manoppello ist ein kleines Städtchen in den italienischen Abruzzen in der Provinz Pescara. Etwas ausserhalb des Ortes liegt das Kapuzinerkloster, das das Wallfahrtheiligtum mit dem Volto Santo betreut.

Im Jahr 1506 befand sich, an einem Sonntag Nachmittag, Doktor Giacomo Antonio Leonelli, ein Arzt und Gelehrter der freien Künste, auf dem Platz vor der Kirche des Hl. Nikolaus von Bari in Manoppello, als sich ihm ein Unbekannter näherte, der ihm etwas Verpacktes überreichte und ihm empfahl, es mit Verehrung aufzubewahren, da es sich um einen äusserst kostbaren Gegenstand handele. Dr. Leonelli entfernte die Umhüllung und hielt das Schleierbild in seinen Händen. Er sah auf, um den Unbekannten um nähere Auskunft zu bitten, was dies für ein Bild sei, wo er es her habe und warum er es ausgerechnet ihm übergebe - doch zu seiner Verblüffung war der Unbekannte spurlos verschwunden, wie in Luft aufgelöst. Dr. Leonelli liess überall nach dem geheimnisvollen Mann suchen, jedoch konnte ihn niemand finden. Er war und blieb verschwunden. Später meinten die Leute, es könne nur ein Engel gewesen sein, denn nur die seien imstande, sich im Augenblick ins Nichts zu entfernen.

Dr. Leonelli verwahrte das Schleierbild zunächst in seinem Hause, wo es recht schnell zum Gegenstand der Verehrung wurde und die bei christlichen Reliquien meist folgenden Wunderheilungen bewirkt haben soll.

Bei seinem Tode hinterliess Dr. Leonelli das Schleierbild seinen Erben, die fortfuhren, es in der Wohnung auszustellen. Etwa ein Jahrhundert später verkaufte Maria Leonelli den Schleier für vier Skudi (eine andere Quelle redet von 400 Skudi) an Dr. Antonio de Fabritijs, angeblich, um ihren Gemahl aus dem Gefängnis loszukaufen.

In den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts kamen dann erstmals Kapuziner in den Ort, die dort eine Kirche erbauten. Dr. Fabritijs schenkte 1638 das wertvolle Bild den Kapuzinermönchen. Da der Schleier inzwischen an den Rändern ausgefranst war, schnitt Pater Clemente da Castelvecchio mit einer Schere den abgenützten Rand ab und liess das Bild zwischen zwei Gläser einrahmen. Es wurde auf den Altar gestellt, umgeben von einem einrachen Holzrahmen.

Man fragt sich, was wohl aus dem abgeschnittenen Randmaterial geworden ist. Der abgeschnittene Rand wäre hervorragend geeignet für wissenschaftliche Untersuchungen am Original!
Inzwischen hatte die Polularität des Schleierbildes weiter zugenommen. Es wurde ein religiöses Fest zu Ehren des Volto Santo eingesetzt, wo es mit feierlichen Prozessionen durch die Strassen des Städtchens getragen wurde. Das geschieht übrigens noch heute: an jedem 3. Sonntag im Mai und an jedem 6. August eines Jahres. Dies Ereignis zieht jährlich Massen von Pilgern an, von denen sicher der grösste Teil keine Ahnung hat, hinter was für einem unerklärlichen und brisanten Artefakt er herwallt!
1703 geschah etwas sehr Merkwürdiges in Manoppello. Pater Bonivacio d'Ascoli liess für das Schleierbild einen kostbaren Rahmen aus Silber anfertigen. Wie er jedoch den Schleier aus dem alten Holzrahmen herausnahm und ihn in den neuen Rahmen legte, verschwand das Bild. Verblüfft starrten alle Anwesenden auf einen reinen, weissen Schleier! Das Phänomen, das in einem mit allen geringsten Einzelheiten versehenen, von verschiedenen Zeugen unterschriebenen Bericht dokumentiert ist, dauerte einige Tage an, und erst, als der Schleier wieder in den alten Rahmen aus Holz zurückgelegt wurde, erschien das Bild wieder.
Das mag nun freilich nicht unbedingt ein göttliches Wunder gewesen sein, sondern man könnte sich auch einen natürlich erklärbaren Vorgang denken, wenn man sich daran erinnert, dass das Bild auch unter Wood-Licht verschwindet und auch dann, wenn man es gegen ein Licht hält.
Dies seltsame Phänomen des verschwundenen Bildes wiederholte sich im Jahr 1714, als man ein zweites mal versuchte, die Reliquie in den Silberrahmen zu fassen. Auch jetzt wieder verschwand das Bild, um wieder sichtbar zu sein, als der Schleier in seine ursprüngliche Holzfassung zurückgebracht wurde.
Einige Jahre später verfielen die Kapuzinermönche dann auf eine Patentlösung. Man liess einen Silberrahmen herstellen, in welchen das Bild mitsamt dem alten Holzrahmen passte, und tatsächlich verschwand diesmal das Bild auf dem Schleier nicht.
Womit haben wir es bei diesem Bild zu tun? Es entzieht sich bislang einer Erklärung der Merkmale und Entstehung durch die moderne Forschung. Das Bild ist und bleibt rätselhaft.
Literatur:
Allgeri, Renzo / Schenker, Paul O.: Das Volto Santo von Manoppello. In: Das Zeichen Mariens. Nr. 7, Reussbühl 1978
Bulst, Werner / Pfeiffer, H.: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Frankfurt a.M. 1987 und 1991
Dobschütz, Ernst von: Christusbilder. Leipzig 1899
Ermel, Gisela: Rätselhafte Tilma von Guadalupe. Marktoberdorf 2002


















Samstag, 7. Februar 2009

Cherubim und Seraphim

Engel, Mischwesen oder Flugobjekte?

Deutungsversuche vor dem Raumzeitalter

Gisela Ermel
In: Magazin2000plus, Nr. 188, Marktoberdorf, September 2003

Als klassischer Beweis für die Konfrontation unserer Vorfahren mit einer technisch weit überlegenen Intelligenz gilt in der Paläo-SETI-Forschung das Ergebnis der Arbeiten Josef F. Blumrichs. Dieser NASA-Ingenieur las, eher zufällig, Erich von Dänikens Buch "Erinnerungen an die Zukunft" und nahm sich vor, dessen Aussage - die Vision des Propheten Hesekiel am Fluss Chebar in Chaldäa beruhe auf realer Begegnung mit einer Art ausserirdischem Fluggerät - zu widerlegen. Statt dessen geschah genau das Gegenteil: Blumrich konnte anhand des alttestamentlichen "Buch Hesekiel" ein in sich logisches und vernünftiges Fluggerät konzipieren und bekam sogar ein Patent für die Konstruktion eines Rades, bei dessen Entwurf die Beschreibung des Propheten Hesekiel Pate gestanden hatte.


Vorläufig gilt diese Deutung der Cherubim-Vision als Fluggerät, wie sie Blumrich nach den alten Texten entwarf, als die überzeugendste und "vernünftigste" unter allen Deutungsversuchen. Eine solche Interpretation war freilich erst möglich nach der Entwicklung unserer modernen Flug- und Raumfahrttechnologie. Erst nach der Konstruktion und dem Bau eigener Fluggeräte und Raumfahrzeuge ergaben die Beschreibungen des Propheten Hesekiel einen verständlichen Sinn.


Die "Vision" des Propheten Hesekiel, Schnorr von Carolsfeld 1851-60

Zu welchen Deutungen und Erklärungen kamen die Denker und Bibelforscher vor dem Raumfahrt-Zeitalter? Welche Vorstelllungen weckten in ihnen die Bibelstellen, in denen von Cherubim und Seraphim die Rede war? Wie interpretierten sie die beiden wichtigsten Textpassagen im Jesaja (Seraphim) und im Hesekiel (Cherubim), oder musste man alles ganz einfach als "Gottes Wort" wörtlich hinnehmen und durfte es nicht hinterfragen?

Nun, der Mensch war schon immer wissbegierig, und so wurden zahllose Spekulationen über Aussehen, Funktion und Art der Cherubim und Seraphim angestellt, die aber ganz einfach allein deswegen nicht allseits überzeugen konnten, weil sie "zu früh" versucht wurden. Dabei ist nicht zu übersehen, dass einige wenige Exegeten schon recht nah an unsere moderne Deutung herankamen, es fehlte aber der Vergleich mit tatsächlich vorhandenen Vergleichsobjekten bzw. ein Vorraussehen-Können vom Entwickeln zukünftiger möglicher technischer Errungenschaften.

Bereits bei dem Versuch, das Aussehen der Cherubim und Seraphim festzulegen konnten sich weder die alten Kirchenväter, noch die Künstler, noch die späteren Bibelausleger einig werden. Grob könnte man ihre Ansichten in einige wenige Hauptgruppen unterteilen:

Die Cherubim / Seraphim haben
  • Tiergestalt
  • Menschengestalt
  • eine Gestalt, die sich aus beiden Varianten zusammensetzt.

Schon hieraus kann man ersehen, wie weit sich die heutige Blumrich-Deutung von diesen Spekulationen entfernt hat: keine der drei Gruppen kommt nun mehr in Frage.

Damals waren die Vertreter der Tiergestalt-Hypothese in der Minderheit. Zu viel sprach nach Meinung ihrer Disput-Gegner für das menschengestaltige dieser Wesen.

"Dass sie menschengestaltig gedacht waren - von den sechs Flügeln abgesehen", so meinte Exeget Oskar Wulff bezüglich der Seraphim, "darüber lässt ihr Gebaren und ihr Lobgesang kaum einen Zweifel."

Mittelalterliche Darstellung eines menschengestaltigen Seraph


Einige Bibelausleger wiesen darauf hin, dass das erwähnte "feurige Schwert" bei dem das Paradies bewachenden Cherub eine menschliche Gestalt, zumindest aber menschliche Hände voraussetze, die es halten. Das Gegenargument anders Deutender lautete: es handele sich nicht um Hände, sondern um Tiervorderfüsse!



Darstellung eines Cherubs von 1156

In einem Punkt aber gab es Einigkeit unter den Bibelforschern: die Wesen besassen Flügel und hatten vier Köpfe. So ist denn auch die älteste erhaltene Cherub-Darstellung im syrischen Evangeliar des Rabula (vor 586) die des hesekielschen Tetramorphen (Vierköpfler).




Darstellung der Himmelfahrt Christi, der auf einem Cherub - dargestellt als Tetramorph mit vier Köpfen, räderartigen Objekten und Flügeln - in den Himmel hinauf fliegt (Evangeliar des Rabula, vor 586)



Der Tetramorph wurde entweder vierflügelig dargestellt (Cherub) oder sechsflügelig (Seraph). Künstler wie Bibelausleger hatten ihre Schwierigkeiten damit, sich auf einen Ur-Typ festzulegen. So gab es immer wieder Versuche, Cherubim und Seraphim zu identifizieren und gleichzusetzen, vor allem wegen der Ähnlichkeit der Jesaja- und der Hesekiel-Texte. Die Bildtypen beeinflussten sich gegenseitig, verwechselten und vermischten munter Cherubim mit Seraphim. Der Bestand an bildnerischen Darstellungen dokumentiert die Spuren früh eingetretener Verwirrung und reicht nicht weit genug zurück, um das Ursprüngliche darin zu zeigen. Einige Exegeten argwöhnten, die Darstellung zweier den Leib bedeckender Flügel zusätzlich zu den anderen Flügeln sei eine Vermehrung der Flügel, die durch die Symbolik bedingt sei. Andere sprachen von "blosser Steigerung der Cherubvorstellung" zu den sechsflügeligen Seraphim, denen einfach ein paar Flügel mehr zugedacht wurden. Zahlreiche Künstler verzweifelten an der Aufgabe, die Schilderung der Wesen bei Jesaja und Hesekiel zu vereinigen.
Schon früh haben Exegeten und Bibelforscher versucht, den Cherubim und Seraphim mit Logik und zeitgemässer Deutung beizukommen. Ein heute eher unfreiwillig komisch wirkender Versuch war der, diesen Wesen auf allegorischem Wege durch Symbolik einen Sinn abzugewinnen. Ansätze solcher symbolischen Deutungen gab es bereits im alten Judentum. Die alten christlichen Kirchenväter machten dann aus diesen "Wesen" Symbole für dies und jenes. Clemens (2. / 3. Jh.) sagte kurz und bündig: Im Himmel gibt es keine derartigen zusasmmengesetzten, sinnlich wahrnehmbaren Wesen, also könne man sie nur allegorisch deuten. Seiner Meinung nach seien sie lediglich Symbole für die geistigen Kräfte himmlischer Mächte.
Besonders die Zahlensymbolik hatte es den Kirchenvätern angetan und regte sie zu mancherlei geistigen Spitzfindigkeiten an. Die vier Gesichter sollten die Allgegenwart Gottes symbolisieren, die vier Köpfe seien Symbole für die vier höchsten Eigenschaften: Vernunft (Mensch), Kraft (Stier), Furchtbarkeit (Löwe) und Schnelligkeit (Adler). Andere Bibelausleger wiederum sahen in den vier Gesichtern bzw. Köpfen ein Symbol für die vier Evangelisten des Neuen Testamentes. Warum jedoch der Verfasser des alttestamentlichen Buches Hesekiel dies vorausgeschaut haben sollte, dafür hatten sie keine Erklärung.




So stellte sich Nikolaus von Lyra, 12. Jh., die Hesekiel-"Vision" vor

Die symbolische Deutung dieser geheimnisvollen Wesen fand bis ins 19. Jahrhundert hinein ihre Anhänger. So behauptete der Exeget Schultz in seiner "Alttestamentlichen Theologie": "Sie gehören zu jener grossen Klasse von Wesen, mit denen seit uralter Zeit die religiöse Phantasie der Asiaten die himmlische Welt bevölkerte, und welche im Grunde der religiösen Symbolik ihren Ursprung und Charakter hat."
So erstaunt es nicht, wenn J. Nikel 1890 aussagte: "Sie sind geflügelt, daher kann ihre Gestalt nur eine symbolische Bedeutung haben." Für ihn war klar, dass die Flügel der Cherubim und Seraphim nur Symbole sind für Schnelligkeit und für "die Bereitwilligkeit in der Ausführung der göttlichen Befehle".
In eine ganz andere Richtung zielte die Deutung derer, die Erklärungen für die mythischen Überlieferungen in der Natur suchten. Cherubim und Seraphim, so behauptete der Bibelforscher Wulff, seien beide aus derselben Naturanschauung entstanden. Die lebendige Volksphantasie habe aus der Gewitterwolke einen Cherub, und aus den Blitzen die Seraphim gemacht. "Und die vermenschlichten Seraphim haben", so Wulff, "ihre Beziehung zum Feuer auch noch keineswegs verloren", und damit verwies er sowohl auf die - strittige - Wortbedeutung der Seraphim als die "Brennenden", "die Entzünder" u.ä. sowie auch auf die mysteriöse Jesaja-Stelle mit den feurigen Kohlen in den Seraph-Händen.
J. Nikel beschrieb "eine Wetterwolke mit Blitz und Donner" als das Gefährt Jahwes, während andere Exegeten im "Flammenschwert" des das Paradies bewachenden Cherubs den Blitz erkennen wollten.
Hesekiels phantastische "Vision" - nichts weiter als die Umschreibung einer Gewitterwolke? Blumrich sei dank können wir das heute guten Gewissens verneinen.
Am nächsten der heutigen Deutung aus Sicht der Paläo-SETI-Forschung kommen die Verfechter einer eher "praktischen" Interpretation. Sie stellten sich die Cherubim vor als "Thronwagen", als "Träger der Gottheit" und - vorsichtig - als eine Art überirdisches Fluggefährt.


Seraphim als "Träger Gottes" durch den Himmel, Jean de Berry, 14. Jh.

In seinen "Theologischen Studien" von 1871 gibt der Bibelforscher Riehm seine Ansicht kund, nach der die Cherubim offenbar Wesen sind "mittels deren sich Gott bei seinen persönlichen Manifestationen vom Himmel her zur Erde herab, von der Erde himmelwärts und auf oder über der Erde hin und her bewegt." Diese Anschauung ist schon erstaunlich modern, mehr noch, würde man das Wort "Wesen" durch "Flugobjekt" ersetzen. Riehm konnte damals freilich noch nicht von realen Flugobjekten reden, denn der erste Motorflug der Brüder Wright fand erst ca. dreissig Jahre nach seinen "Theologischen Studien" statt.

So stellte sich Herny More 1678 das himmlische Gefährt vor, das Hesekiel sah
J. Nikel kommentierte diese Deutung seines Kollegen Riehm etwa zwanzig Jahre später folgendermassen: "Warum solle man nicht ... berechtigt sein, aus der Anwesenheit der Flügel bei den Cherubim auf einen besonderen Dienst, der in denselben seinen Ausdruck findet, zu schliessen?" Doch Riehms Deutung ist Nikel zu spekulativ, er neigt eher zur guten alten symbolischen Deutung und gibt zu bedenken, "dass zwar zur Versinnbildlichung seines übernatürlichen Wesens der Cherub der Flügel nicht beduft hätte ... aber ihr besonderer Dienst in der Nähe Gottes erklärt die Anwesenheit der Flügel vollkommen." Ausserdem, so fragte sich Nikel, wenn die Cherubim lediglich so eine Art Vehicula seien, warum hätten sie dann Gesichter, Hände und dergleichen?
Anders argumentierte der Exeget Hoffmann in seinem "Schriftbeweis": "Sie sind für den in der Welt gegenwärtigen Gott etwas Ähnliches wie der Wagen für den darauf Einherfahrenden." Eine verblüffend modern anmutende Deutung! Nikel jedoch fand diese Rolle der Cherubim / Seraphim "etwas zu passiv".
Einer der vielen Versuche vergangener Jahrhunderte, die Hesekiel-Vision zeichnerisch darzustellen
Schwierigkeiten hatten viele Bibelausleger mit der Textstelle, in der es heisst, der "Herr" werde im Stiftszelt über der Bundeslade zwischen den Cherubim thronend mit Mose reden. Das Wort "thronen", so wissen diese Exegeten, kann auch mit "bewohnen" übersetzt werden, doch das sei schwer vorstellbar, da bei den Cherubim doch nicht von einem "bewohnen" gesprochen werden könne, etwa wie vom Bewohnen eines Hauses. Exeget Schultz: "Dass diese Redensart den die Cherubim bewohnenden, d.h. unter ihren Flügeln wohnenden bezeichnen soll, das erscheint mir sprachlich noch unglaublicher, da lebendige Wesen nicht wie ein Haus bewohnt werden" können.
Heute weiss jedes Kind, dass man in ein Flugzeug hineingehen kann wie in ein Haus. Das "fahren durch die Luft" in einem Objekt war eben vor unserem ersten Flugzeug nicht leicht vorstellbar, deshalb ist in älteren Deutungen immer auch nur die Rede von fahren / fliegen auf den Cherub. Eine rührend-naive Vorstellung von Jehova auf einem Cherub wie Nils Holgersson auf seiner Gans!
So behauptete der Bibelforscher Smend, "man dürfe in der Vision Hesekiels durchaus nicht etwa einen spekulativen Gedanken suchen der Art, dass die Kreatur der Träger Gottes sei." Wirklich nicht???
Stellen wie diese: "Gott aber fuhr zum Paradies auf einem Cherubwagen" (Apokalypse des Moses) oder: "Und er fuhr auf einem Cherub und flog daher, und er schwebte auf den Fittichen des Windes" (Psalm 18, 10) machen uns heute keine Schwierigkeit mehr, die Cherubim als technische Fluggeräte zu betrachten. Sollte es nicht besser heissen: "Gott aber fuhr zum Paradies in einem Cherubwagen"?
Weiterer Versuch, die Hesekiel-Vision - den Cherubwagen Jahwes - darzustellen...
..... hier in einer Version des Melchior Küsell von 1680
Am befremdlichsten waren für die frühen Ausleger der Bibelstellen die Räder der Cherubim. In Zeiten, als selbst ein hölzernes Wagenrad gewissermassen High-Tech war, gaben sich die Künstler biblischer Szenen alle Mühe, diese Räder als etwas ganz besonderes darzustellen. Da gibt es einmal die Darstellung von Rädern, die mit kleinen Flügeln versehen sind; das ist jedoch reine Kunstsymbolik, denn Hesekiel sagte ja nichts von "geflügelten" Rädern. Er sprach von "Rädern innerhalb von Rädern".
Andere Bilder zeigen die Räder mit Flammen versehen; schon in einer Miniatur der sog. Wiener Genesis aus dem 5. /6. Jh. findet sich ein Rad im Rade, wie es Hesekiel gesehen haben will, von Flammen umloht. Andere Räder wiederum wurden durch die Künstler mit so etwas wie Nieten ausgestattet, dann wieder findet man Räder unter den Cherubim, Räder neben den Cherubim und völlig selbständige Räder sowie Räder unter einem "Thron". Die Ophanim des Buches Henoch sind nichts weiter als die verselbständigten Hesekiel-Räder. Sie waren nun einmal in der "Vor-Flugzeug-Ära" schwer vereinbar mit den Cherubim, wenn man sich diese als "lebendige Wesen" vorstellte.
Die Räder der Cherubim: (ein Beispiel von 1536) So oder ........
.............. so (Henry More 1678) oder ..................
........... so (mittelalterliche Darstellung) oder...........
.... so? Für dieses nach dem Buch Hesekiel entworfene Rad für ein Planetenfahrzeug erhielt J. Blumrich ein Patent
Aus diesen frühen Deutungsversuchen über Cherubim und Seraphim können wir vor allem eines lernen: Eine treffende und überzeugende Deutung eines alten Berichtes kann erst gemacht werden, wenn die Zeit dafür reif ist, d.h. wenn Vergleichsobjekte vorhanden sind oder vorgestellt werden können. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Blumrich-Deutung der Hesekiel-Vision als atomgetriebenes Landeflugvehikel für alle Zeiten das Non-Plus-Ultra sein wird. Möglicherweise belächeln unsere Nachfahren eines Tages diese Deutung ebenso wie wir die "Gewitterwolken"-Deutung des 19. Jahrhunderts. Bislang aber ist und bleibt unsere Deutung im Sinne der Paläo-SETI-Forschung aus Sicht des Raumfahrtzeitalters die überzeugendste und logischste. Es gibt mit Sicherheit zahllose weitere Überlieferungen, die wir heute noch nicht zu deuten verstehen, da unsere Zeit ebenfalls noch nicht reif dafür ist. Jede neue High Tech-Erfindung oder wissenschaftliche Entdeckung (nicht nur auf technologischem Gebiet) könnte ganz neue Horizonte öffnen bzw. Blickwinkel bescheren beim Lesen und Interpretieren alter Texte und Überlieferungen und die Frühzeit-Forschung revolutionieren.
"Keruben nennen sie die Hebräer; das sind geflügelte Wesen, deren Gestalt sich mit keinem, was Menschen je sahen, vergleichen lässt", resümierte der jüdische Geschichtsschreiber Josephus Flavius im 1. Jh. n.Chr. Nun, inzwischen gibt es reichlich Objekte an unserem Himmel, die sich sehr wohl mit diesen fliegenden "Thronwagen" vergleichen lassen.
Fliegende Wesen machen normalerweise Geräusche. In einem Lied, das man dem biblischen König David zuschreibt, ist die Rede von Gott Jehova, der auf einem Cherub daherfliege, dabei "donnerte" es "vom Himmel her, und der Höchste liess seine Stimme erschallen." (2. Buch Samuel, Kap. 22) Seine Stimme - oder die des fliegenden Cherub bzw. Thronwagen?
Ein paar hundert Jahre später hatte Prophet Hesekiel seine hautnahe Begegnung mit der "Herrlichkeit des Herrn". Hesekiel beschrieb die dabei gehörten Geräusche folgendermassen: "Und wenn sie gingen, hörte ich das Rauschen ihrer Flügel wie das Rauschen grosser Wasser, wie die Stimme des Allmächtigen, das Rauschen eines Getümmels, wie das Rauschen eines Heerlagers. Wenn sie stillstanden, liessen sie ihre Flügel sinken." (Hes. 1, 24)
Später, als Hesekiel "vom Geist emporgehoben" wurde, hörte er "den Schall eines starken Getöses: 'Gepriesen sei die Herrlichkeit Jehovas von ihrer Stätte her!' Und das Rauschen der Flügel der lebendigen Wesen, welche einander berührten, und das Sausen der Räder neben ihnen, und den Schall eines starken Getöses." (Hes. 2, 12 - 13)
Hesekiel beschrieb die ihm bis dato unbekannten Fluggeräusche mit seinen eigenen Worten, aber er - bzw. der Verfasser des Buches Hesekiel - interpretierte auch schon etwas hinein, was seiner Meinung nach geklungen haben soll wie "Gepriesen sei die Herrlichkeit Jehovas..." Was der Augenzeuge damals wirklich hörte, können wir nicht mehr erfahren, wir können nur Vermutungen anstellen. Entweder vernahm der Prophet lediglich Start- und Fluggeräusche, in denen er so etwas wie Lobsprüche zu vernehmen glaubte - oder er hörte tatsächlich Stimmen, die sich am ehesten auf den Flugablauf betreffende Anweisungen oder Bestätigungen bezogen haben werden, ausgesprochen von der Besatzung des Flugobjektes, der "Herrlichkeit des Herrn". Da diese aber wohl kaum dabei die Sprache Hesekiels benutzt haben dürften, hat dieser dann das ihm naheliegendste zu verstehen geglaubt. So sollen die Cherubim laut dem 3. Buch Henoch ständig "Heilig, heilig, heilig" gesungen haben, nach dem Entstehen eines grossen "Sturmwindes" und gewaltigen Lärms - den Startgeräuschen eines Flugobjektes?
Nicht viel anders lauten die Berichte über die Seraphim. So lässt der Verfasser des apokryphen "Testament des Abraham" den Adam erzählen vom "Dreimalheilig der Seraphim. Vor meinem Sündenfall hörte ich, mein Sohn, zu dieser Stunde das Getöse ihrer Flügel im Paradies; denn die Seraphim hatten die Gepflogenheit, mit den Flügeln zu schlagen, wobei sich ein harmonischer Ton in dem ihrer Verehrung geweihten Tempel ergab..."
Eine Sichtung dieser Seraphim schilderte bekanntlich Prophet Jesaja, der "den Herrn" im Jahre 740 / 739 v.Chr. sitzen gesehen haben will "auf hohem und erhabenem Throne": "Seraphim standen über ihm; ein jeder von ihnen hatte sechs Flügel ... Und einer rief dem anderen zu und sprach: Heilig, heilig, heilig ist Jehova der Heerscharen, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit! Und es erbebten die Grundfesten der Schwellen (des Tempels) von der Stimme der Rufenden, und das Haus wurde mit Rauch erfüllt." (Jes. 6, 1-4)
Volkstümlich bekannt waren die Seraphim als "feurige fliegende Schlangen", die "brüllen wie die Löwen", und Martin Luther übersetzte "seraph" mutig mit "feuriger Drache". In jüdischen Sagen kann man nachlesen, dass diese Seraphim - so wie unsere heutigen Flugobjekte - Kraftstoff benötigten: Alljährlich in der Sonnenwende des Monats Nissan gebe Gott ihnen eine neue Kraft ein. Ihr Heimatstandort sei auf Arawot, dem siebten und höchsten Himmel.
Was hat man nun in späteren Zeiten alles aus dem "Dreimalheilig" der Seraphim und dem "Gepriesen sei..." der Cherubim gemacht! Als "Hymnus triumphalis" oder "Siegeshymnus" sind diese - eventuell total missverstandenen? - Textpassagen berühmt geworden. Jeder Katholik kennt das Epinikion, den Engelslobgesang. In einem Bericht über eine Liturgie des 10. Jahrhunderts heisst es beispielsweise: an einer Stelle des zelebrierten Ritus "umbrause" den Priester der Siegeshymnus der Cherubim und Seraphim, die singen, rufen und schreien, und der Priester "fühlt den Flügelschlag der himmlischen Heerscharen, wenn die Diakone mit den Flabellen fächern." Solche Flabelle - grosse Wedel aus Pfauenfedern, feinem Leder, Leinwand oder auch Metall - wurden schon in der frühchristlichen griechischen Messe von den Diakonen getragen, und noch heute werden bei feierlichen Prozessionen in Rom dem Papst solche Fächer vorangetragen!
Rom: rechts und links neben dem Papst Träger mit Flabellen
Nun, Flügelgeräusche könnten wir heute viel effektiver - und den vermutlichen Ursprungsgeräuschen nahekommender? - imitieren. Man stelle sich vor, die heutigen Diakone würden die gewedelten Flabelle durch ferngesteuerte Hubschrauber-Modelle ersetzen - wie viel echter würde dann der Priester vom Flügelrauschen der himmlischen Cherubim und Seraphim "umbraust" sein! Noch besser wäre es, statt der Flabellen kleine flugfähige Modelle des von Blumrich nach dem Hesekiel-Bericht rekonstruierten Cherubim-Wagens bei derartigen Riten und Prozessionen einzusetzen; auf Showbiz hat sich ja die katholische Kirche schon immer gut verstanden... Aber Spas beiseite.
Auf die oben zitierte Jesaja-Vision geht z.B. der Text des Gebetes der Markus-Liturgie der alexandrinischen Griechen zurück, in der es heisst: "Um dich stehen die zwei ehrwürdigsten Wesen, die vieläugigen Cherubim und die sechsflügeligen Seraphim, die mit zwei Flügeln ihr Angesicht verhüllen und mit zweien die Füsse und mit zweien fliegen. Mit unermüdlichem Munde und mit nie schweigenden Lobpreisungen Gottes ruft einer dem anderen den dreimal heiligen Siegeshymnus zu, indem sie zu deiner grossen Herrlichkeit singen, rufen, verherrlichen, schreien und sprechen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen..."
Priester mit Flabellen in einer russisch-orthodoxen Kirche
Dieses "singen, rufen, verherrlichen, schreien und sprechen" hört sich in der Mozarabischen Liturgie auf lateinisch natürlich viel vornehmer an: "perenni jubilatione decentant adorant magnificant...", und die Kirchenhistoriker schwärmen von einem "Ausdrucksreichtum", von dem sie überzeugt sind, dass er nicht späteres Entwicklungsprodukt der Liturgie sei, sondern diesem, wie sie es nennen, "merkwürdigen Phänomen" begegne man schon in den Anfängen des Christentums. Aus vermutlichen Startbefehlen für ein Flugobjekt und / oder Fluggeräuschen machte die Zeit ein "schreien und sprechen" (in der Elberfelder Bibelübersetzung dezent als "rufen und sprechen" übersetzt).

Flabellum mit Seraph-Darstellung
Religionsforscher aller Zeiten zerbrachen sich ihre Köpfe über diese "Rufe". Einige kamen zu der Ansicht, es handele sich dabei um "kein natürliches Schreien und Sprechen", sondern um einen "mystischen Lobpreis", um ein "singen, rufen und verherrlichen" zugleich.
Es gab auch Versuche, diese Cherubim- und Seraphim-Stimmen (oder -Geräusche) zu charakterisieren. Nach der Jakobus-Liturgie sollen sie mit "heller Stimme" gesungen haben. Kirchenvater Ephraem war der Meinung, es habe sich um so etwas wie "Harfenstimmen" gehandelt, während im slawischen Henochbuch von "sanften Stimmen" die Rede ist. Aus dem "Schreien" der Seraphim wurde ein "ewiger Hymnus", bekannt als "Sanktus", als "Heilig-Ruf", der im Kult der Kirche fest integriert ist und als "Hymnus der Engel" dargestellt wird und irgendwie vorgestellt wurde als "Lobpreis der Geisterwelt".
Diese Cherubim- und Seraphim-Geräusche haben bis in das heutige Vaterunser-Gebet überdauert, wo es heisst, dass "der Name Gottes" auf Erden "geheiligt" werden möge, wie er im Himmel - von den Cherubim und Seraphim - schon "geheiligt" werde. Man stellte sich schon früh dieses "schreien und rufen" als Teil einer im Himmel ausgeführten Engels-Liturgie vor und unterschied krass zwischen dem nachahmenden Lobgesang der irdischen Kirchgänger und dem "Rufen" der Cherubim und Seraphim. Kirchenvater Origenes behauptete denn auch: "Den Menschen kommt das Singen von Psalmen zu, das Singen von Hymnen aber steht den Engeln an..." (Als Engel bezeichnete man im nachhinein die Cherubim und Seraphim.)
In den 1930er Jahren schrieb Eric Peterson in seinem "Buch von den Engeln": "Das Volk singt mit natürlicher Stimme ... und daran wird selbsverständlich auch nichts geändert, wenn etwa ein geübter Singchor mit seinem polyphonen Kunstgesang die Stelle des Volkes vertritt." Recht hat er! Den echten damaligen Geräuschen der Cherubim und Seraphim, der "fliegenden Thronwagen" und Jehova durch den Himmel tragenden "Wesen" dürfte man wohl auch kaum mit menschlichen Stimmen gerecht werden!
Auch in der jüdischen Gebetsliturgie hat sich dieser "Dreimalheilig"-Ruf eingebürgert, bekannt als Qeduscha oder auch Trishagion, wobei man geschickt Hesekiel mit Jesaja und damit die Cherubim und Seraphim kombinierte. Im christlichen Kult galt zeitweise der "Sanctus"-Ruf als ein vom Heiligen Geist gewirkter Gesang, so z.B. bei Kirchenvater Cyrill. Ohne eine Ahnung von den einstmaligen wirklichen Geräuschen zu haben (wie denn auch), sprach man von "mystischer Bedeutung" des Sanctus oder vornehm von der "Hosianna-Formel". Kirchenvater Basilius versuchte mit beredten Worten den Gegensatz zwischen dem "Lob der Engel" und dem gesungenen "Menschenlob" zum Ausdruck zu bringen. Auch gab es die Meinung, das "Schreien" der Seraphim sei vielleicht ein symbolischer Ausdruck für einen "alten Kultschrei" des israelischen Volkes gewesen.
Ein Seraph auf einem Mosaik in San Marco, Venedig
Im christlichen Abendland wurde der Sanctus-Ruf der Kirchgänger - gänzlich unromantisch - als Defekt gegenüber dem "reinen Gesang" der Cherubim und Seraphim empfunden. Kirchenvater Gregor versuchte sich in seiner "Moralia" an der Gegenüberstellung der unvollkommenen jubilatio des Menschen mit dem "Lob" dieser gern auch als "Engel" bezeichneten Cherubim und Seraphim. Es wurde behauptet: "Die Engel treten in ihrem Gesang gleichsam ekstatisch aus sich heraus", oder es wurde vom "Gotteslob nach Art der reinen Geister" gefachsimpelt.
Seraph, 13. Jahrhundert
In Kreisen der Gnostiker und Mystiker wurde ebenfalls über die Cherubim und Seraphim philosophiert. Was dabei heraus kam, hat Eric Peterson in seinem schon erwähnten "Buch von den Engeln" so zusammengefasst: Der Seraphim "eigentümliches Wesen wird nicht von daher fundiert, dass sie stehen, sondern von daher, dass sie sich bewegen, dass sie mit den Flügeln schlagen, die Jesaja zuerst mit unerhörter Kraft der Anschauung beschrieben hat, und dass nun diesem Flügelschlag und mit den Flügeln die Füsse bedecken, so bedeutsam in dem Ausdrucksreichtum seiner Symbolik, eine bestimmte Form des Verströmens im Wort, im Ruf, im Gesang des Heilig, heilig, heilig korrespondiert. Mit anderen Worten: in diesem Verströmen und Ausströmen in Wort und Gesang, in diesem Phänomen fundiert sich das eigentliche Wesen dieser Engel. Es geht nicht darum ... dem Herrgott etwas vorzusingen ... In Wahrheit geht es hier um etwas ganz anderes."
Bingo! Wie recht Peterson doch hat! Denn "hier handelt es sich nicht um Engel, die primär in einer ganz abstrakten Weise 'Engel' überhaupt wären, und die dann noch singen, sondern hier handelt es sich um Engel, die eben darin ihr Engel-Sein haben, als sie in der vorher geschilderten Weise im Lobpreis des 'Heilig, heilig, heilig' verströmen. Dieser Ruf konstituiert erst ihr eigentliches Wesen, in diesem sind sie das, was sie sind. Cherubim und Seraphim, die ihr Sein in diesem 'Verströmen im Lobpreis' und dieser 'partiellen Bewegung ihrer Flügel' haben."
Welche Geräusche mögen wohl ursprünglich diesen Wust an Deutungsversuchen verursacht haben? Und welche Objekte mögen ursprünglich diese Geräusche produziert haben? Hoffen wir, dass unsere eigenen Flugobjekte, mit denen wir vielleicht in fernen zukünftigen Zeiten auf Planeten mit uns technisch unterlegenen Bewohnern umherfliegen könnten, zu geistreicheren Interpretationen unter den Nachfahren der dortigen Zeugen unserer Flugkünste führen!
Sah so die "Herrlichkeit des Herrn" aus, die Hesekiel sah? Rekonstruktion von Joseph Blumrich
Literatur:
Augusti, J. Chr.W.: Denkwürdigkeiten aus der christlichen Archäologie. Leipzig 1822
Bibel. Elberfelder Übersetzung. Wuppertal 1975
Blumrich, J.: Da tat sich der Himmel auf. München 1973
Burdach, K.: Der Gral. Stuttgart 1974
Dibelius, M.: Die Lade Jahves. Göttingen 1906
Gorion, M. bin: Die Sagen der Juden. Frankfurt a.M. 1962
Godwin, M.: Engel. Frankfurt a.M. 1992
Kraus, F.X.: Geschichte der christlichen Kunst. Freiburg i.Br. 1896-1900
Laine, T.: Metatron ergänzt Ezechiel. In: E.v.Däniken: Neue kosmische Spuren. München 1992
Nikel, Joh.: Die Lehre des A.T. über die Cherubim und Seraphim. Diss. Würzburg, Breslau 1890
Peterson, E.: Das Buch von den Engeln. Leipzig 1934
Rahn, O.: Kreuzzug gegen den Gral. Stuttgart 1974
Riessler, P.: Altjüdisches Schrifttum ausserhalb der Bibel. Augsburg 1928
Wulff, O.: Cherubim, Throne und Seraphim. Altenburg 1894, Diss. Leipzig